Sturmflut: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
waren die Scheiben wegen ihrer nassen Jacken von innen beschlagen. Immer wieder wischte Suna mit der Hand über das Glas des Seitenfensters, um überhaupt nach draußen blicken zu können.
»Hier!«, rief sie plötzlich aufgeregt. »Hier muss es sein, es ist genauso, wie Fenja es beschrieben hat.«
Fast hätte sie den schmalen Weg übersehen, der sich zwischen den Dünen hindurch zur Burmeister-Villa schlängelte.
Nachdem sie herausgefunden hatten, dass Carolin dort eingesperrt sein musste, wollte Fenja natürlich sofort hinfahren, aber Suna hatte sie aufgehalten. Sie war sich sicher gewesen, dass Fenja in ihrem Gemütszustand eine Suchaktion nur behindern würde.
»Es ist besser, wenn Daniel und ich das machen«, hatte sie ihre Klientin zu überzeugen versucht. »Du gehst inzwischen zur Polizei und bringst sie dazu, einen Streifenwagen zu der Villa zu schicken. Und am besten einen Krankenwagen gleich mit. Es wird bestimmt nicht einfach, sie davon zu überzeugen, dass Carolin entführt worden ist, also gib dein Bestes. Wir werden vielleicht Hilfe brauchen.«
Nach einigem Zögern hatte Fenja zugestimmt und ihnen eine genaue Wegbeschreibung gegeben. Dann hatten sie sich getrennt.
Jetzt bog Daniel nach rechts in die Zufahrt zur Villa ein. Der Wagen fuhr ruckelnd und schwankend über den nur leidlich befestigten schmalen Weg.
»Normalerweise finde ich es ja immer ein bisschen affig, wenn Leute mit großen Geländewagen auf den Straßen rumfahren, aber in diesem Fall war es wohl genau die richtige Entscheidung, dein Auto zu nehmen«, grinste Suna. Sie schrie auf, als der rechte Vorderreifen des Wagens plötzlich über eine Bodenwelle fuhr und sie auf ihrem Sitz hochgeschleudert wurde, sodass sie beinahe mit dem Kopf gegen das Dach geprallt wäre.
»Ich wusste gar nicht, dass wir Schleudersitze haben«, bemerkte Daniel, was ihm einen missbilligenden Blick von Suna einbrachte. Dann aber lächelte sie. Sie waren beide sehr angespannt, und sie war eigentlich dankbar für Daniels Versuch, die Situation ein bisschen aufzulockern.
»Da vorn muss es sein!« Suna wies auf ein klotziges Gebäude, dessen Silhouette sich gegen den dunkelgrau verhangenen Himmel nur schemenhaft abzeichnete.
Daniel hielt mitten auf dem Weg und die beiden stiegen aus. Suna wurde fast von einer Sturmböe umgerissen. Sie taumelte und stützte sich mit einer Hand am Auto ab. Regen mischte sich mit vom Meer herübergewehter Gischt und schlug ihr ins Gesicht. Innerhalb von Sekunden war sie völlig durchnässt.
Aus der Nähe wirkte das Haus wie ein misslungener Versuch, den Charme eines alten Friesenhauses mit mondäner Protzigkeit zu vereinen. Die Grundform war dieselbe wie bei den reetgedeckten Häusern im alten Teil von Westerland, aber alles schien größer, höher, breiter zu sein – und viel hässlicher, schoss es Suna durch den Kopf. Dazu trugen auch die völlig unpassenden, hochglänzenden Dachziegel bei, die man statt des Reets verwendet hatte, und die wahrscheinlich zusätzlich hatten Eindruck schinden sollen.
Jetzt allerdings war das Gebäude dem Verfall preisgegeben. Alles wirkte schäbig und verkommen. Die Unterspülung der Fundamente hatte tiefe Risse im Mauerwerk entstehen lassen. Im Lauf der Zeit waren die Fensterscheiben zu Bruch gegangen und durch grobe Holzbretter ersetzt worden. Am meisten erschreckte Suna jedoch, dass der Strand an dieser Stelle extrem schmal war. Sie wusste nicht, ob es an der Sturmflut lag, aber nur eine Bruchkante im Sand schützte das Haus noch vor der tosenden Brandung.
Daniel war zum Eingang des Hauses gelaufen und rüttelte an der Haustür. Er sah zu Suna hinüber, schüttelte den Kopf und sagte etwas.
Suna konnte ihn nicht verstehen, weil die Brandung und das Tosen des Sturms seine Stimme übertönten, dennoch wusste sie, was er meinte. Sie gab ihm mit einer Geste zu verstehen, dass sie einmal um das Haus herumlaufen sollten.
Auf der rückwärtigen Seite hatte sie Glück. Suna wies auf ein Fenster, bei dem sich eines der Holzbretter, mit dem es vernagelt worden war, an einer Seite gelöst hatte.
Daniel nickte. Gemeinsam griffen sie in den Spalt und zogen das Brett nach außen. Als die Öffnung groß genug für sie war, wand Suna sich hindurch. Während Daniel von außen weiter zog, drückte sie von innen dagegen. Es dauerte nicht lange, bis sich auch auf der anderen Seite die Nägel lösten. Daniel warf das Brett achtlos zur Seite und kletterte ins Haus.
Im Inneren des Gebäudes herrschte
Weitere Kostenlose Bücher