Sturmherz
etwas aufgezwungen, Mari. Niemals. Ich liebe dich. Ich bin nur aus einem Grund bei dir. Weil ich dich brauche.“
„Was von mir? Etwa meine Seele? Hast du Stephen ins Wasser gelockt? Wolltest du ihn töten?“
„Ich wollte ihn retten.“ Louan tat einen Schritt auf mich zu, die Augen zu Schlitzen verengt, in denen etwas glomm, das ich nie zuvor an ihm gesehen hatte. „Hast du das nicht gesehen? Die Felsen hätten ihn getötet, wenn ich ihn nicht davon weggezerrt hätte. Aber dieser Dummkopf musste sich ja unbedingt wehren.“
„Gar nichts habe ich gesehen. Nur deine Bisse und seine Wunden. Wolltest du ihn retten, so wie du damals die drei Jungen retten wolltest, die auf Skara Brae umgekommen sind?“
Er stieß ein grausam klingendes Lachen aus. „Das Meer hat sie für ihre Dummheit bestraft. Nicht ich.“
Die Knie drohten unter mir nachzugeben. Ich wünschte mir Louan zurück. Mein geliebtes, sanftes Fabelwesen. Doch was vor mir stand, hätte sich nicht drastischer von diesem Wesen unterscheiden können.
„Woher soll ich je wissen, ob du es ehrlich meinst?“ Meine Stimme war ein einziges Schluchzen. „Alles, was ich fühle, könnten nur Illusionen sein. Sirenengeflüster. Lügen.“
Louans Hände krallten sich in das Fell. Weiß stachen die Knöchel durch seine Haut. „Glaube was du willst, Mari“, knurrte er mit gebleckten Zähnen.
„Das tue ich! Und jetzt geh!“ Ich schrie es hinaus, obwohl ich es nicht wollte. „Verschwinde aus meinem Leben.“
„Willst du das wirklich?“
„Ja. Verschwinde endlich.“
Louan zögerte nicht lange. Abrupt warf er sich herum und sprang in die nächste Welle, um binnen eines Herzschlages zu verschwinden. Etwas Rotes schoss ihm hinterher, aufblitzend wie eine Reflexion auf tanzendem Wasser.
„Verdammt!“, schrie jemand über mir. „Du Hornochse! Wie kannst du auf diese Entfernung daneben schießen?“
Ich fuhr so schnell herum, dass ich das Gleichgewicht verlor und zu Boden ging. Glühender Schmerz zuckte durch mein aufgeschlagenes Knie. Oben auf den Klippen hob Ruth soeben den Arm und verpasste Aaron eine Ohrfeige.
„Wenn ich gewusst hätte, dass du auf zehn Metern nicht mal ein Scheunentor triffst, hätte ich es selbst getan. Her damit!“
Sie riss ihm das Gewehr aus den Händen, richtete den Lauf auf mich und schoss. Alles geschah zu schnell, um zu reagieren. Ein scharfer Stich an meiner rechten Schulter, ein kurzer Moment überraschten Entsetzens, als ich den Pfeil in meinem Fleisch stecken sah, dann zog er sich bereits zu.
Der schwarze, alles auslöschende Schleier.
In meinem letzten Gedanken fühlte ich nur eines: Verzweiflung.
„Das geht zu weit. Es ist endgültig Schluss. Nicht so. Erst klauen wir dem Alten den Kutter, dann kidnappen wir das Mädchen. Lass sie gehen.“
„Komm auf den Teppich. Ihr passiert schon nichts. Und für den Kutter habe ich bezahlt. Unsere Vereinbarung gilt noch immer, und die bestand darin, dass ich mir diese Nussschale jederzeit ausleihen kann.“
„Alles klar. Ausleihen per Kurzschlussverfahren. Dass sie uns nicht dabei erwischt haben, ist ein Wunder.“
„Sie haben uns nicht erwischt, weil sämtliche Fischer gerade dasselbe tun wie wir. Sie jagen einen Seehund.“
„Mir geht’s nicht um den Kutter, okay? Das Mädchen ist seit zwei Stunden bewusstlos. Das nennst du nichts passieren? Wahrscheinlich hast du ihr eine Überdosis verpasst. Ich sag dir, sie stirbt. Und wenn sie nicht stirbt, was willst du dann tun?“
„Hör endlich auf!“
„Er wird sowieso nicht kommen. Dank der grölenden Vollpfosten, die ihm eins überbrennen wollen, ist er unter Garantie schon über alle Berge.“
„Er wird. Glaub mir, er wird. Und wo wir gerade davon reden, unsere Kleine scheint wach zu werden. Hallo, Mari.“
Jemand rüttelte an meiner Schulter. Das erste, was ich neben dieser Berührung spürte, war ein Seil, das um meine Handgelenke geschlungen war. Danach folgten weitere Eindrücke, grell wie eine Maschinengewehrsalve.
Meine schmerzende Schulter.
Eine kalte Stange, an der ich festgebunden war.
Kopfschmerzen, und zwar höllische. Eine ausgedörrte Zunge, darauf der widerliche Geschmack nach etwas Undefinierbarem. Chemisch. Bittersüß. Trocken.
Meine Augenlider glichen Vorhängen aus Blei. Als es mir endlich gelang, sie einen Spalt weit zu öffnen, sah ich nur ineinanderfließende Schemen.
„Komm schon, werde wach.“ Die Hand rüttelte erneut. „Wir haben nicht ewig Zeit.“
„So eine Scheiße!“,
Weitere Kostenlose Bücher