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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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fluchte die männliche Stimme im Hintergrund. „So eine verfluchte Scheiße. Ich stehe nicht gerade für die Entführung dieses Mädchens. Was willst du tun, wenn sie ihren Part erledigt hat? Sie umbringen?“
    „Warum sollte ich?“, säuselte die weibliche Stimme.
    „Oh, lass mich mal überlegen. Vielleicht, weil sie uns verpfeifen könnte?“
    „Das wird sie nicht. Mach dir mal keine Sorgen.“
    Langsam klärte sich meine Sicht. Ich erkannte MacMuffins Kutter und ein bleiches, von zerzaustem weißblondem Haar eingerahmtes Gesicht. In winterblauen Augen funkelte Triumph. Fassungslosigkeit durchdrang meine Benommenheit. Dieses Miststück hatte dem alten Fischer nicht nur den Kutter geklaut, sie hatte mich betäubt, entführt und an die Reling gefesselt.
    „Mari ist ein schlaues Mädchen“, befand Ruth. „Sie wird begreifen, dass man uns nicht wegen der Entführung eines Jungen anklagen kann, den es überhaupt nicht gibt. Dein Freund besitzt keinerlei Papiere, nicht wahr? In der Menschenwelt gibt es keinen Beweis dafür, dass er existiert. Dumm für dich, ein Freifahrtschein für uns. So gesehen ist er nur ein wildes Tier. Und besitzt ebenso viele Rechte wie ein wildes Tier. Nämlich gar keine.“
    Ich biss die Zähne zusammen.
    Ruth hatte nur bedingt recht. Man würde sie nicht für Louans Entführung belangen können, aber für die Freiheitsberaubung eines unschuldigen Mädchens, das sehr wohl existierte.
    „Ich nehme an“, überlegte sie, „dass unsere Kleine gerade darüber nachdenkt, uns ihre Entführung anzukreiden. Das wäre eine dumme Idee. Ich habe einen gewissen Ruf, Liebes. Meine Position befindet sich an einem Punkt in der Gesellschaft, von dem dein Vater nur träumen kann. Mein Wort hat Gewicht, er ist nur ein einfacher, alleinerziehender Gärtner, dem die Frau weggerannt ist.“
    Ein Knurren grollte in meiner Kehle. Ich zerrte an meinen Fesseln, bis das dünne Seil in meine Haut schnitt. Woher wusste sie das alles? Natürlich, dämmerte es mir, im Dorf blieb nichts lange geheim. Und die beiden hatten mehrere Wochen praktisch unter uns gelebt.
    „Irre ich mich“, flüsterte Ruth in mein Ohr, „oder tröstete sich dein Vater nach dem herben Schicksalsschlag mit Freunden namens Johnny Walker und Jack Daniels? Allzu lange ist er noch nicht trocken, stimmt’s?“
    Rote Schlieren tanzten vor meinen Augen. Mein Blut kochte vor Hass. Ich wollte schreien und toben, nach ihr schlagen und treten, doch die Betäubung meines Körpers lähmte mich nach wie vor.
    „Es wäre ein Leichtes, dafür zu sorgen, dass dein Vater in einem schlechten Licht dasteht.“ Ruths Stimme war ein selbstgefälliger Singsang. „Man könnte ihm das Sorgerecht entziehen. Noch bist du nicht volljährig. Märchengeschichten über eine Selkiejagd samt Entführung könnten leicht den Eindruck erwecken, du wolltest nur Aufmerksamkeit erregen.“
    „Ruth!“ Aaron packte sie am Kragen ihres schwarzen Rollkragenpullovers und zog sie mit einem Ruck zu sich hoch. „Hör auf damit. Ich bin nicht hierhergekommen, um zu einem kriminellen Kindesentführer zu mutieren. Wir fahren zurück zum Hafen und lassen sie gehen. Sofort.“
    „Deine Bedenken kommen zu spät, mein Lieber. Wir ziehen das hier durch. Und falls du es noch nicht bemerkt hast, wir befinden uns in der Zielgeraden.“
    „Er wird nicht kommen.“ War das meine Stimme? Matt und lallend? „Wir haben … er hat … ich bedeute ihm nichts.“
    „So?“ Ruth griff unter ihren Pullover und zog etwas hervor. Ein Messer. Klein und spitz, mit funkelnder Klinge. Aaron wich jede Farbe aus dem Gesicht. Er taumelte zurück und prallte gegen den Werkzeugkasten. „Wenn du dich da mal nicht irrst. Ich habe meine Erfahrungen mit Männern, und diese Erfahrung flüstert mir eines mit hundertprozentiger Sicherheit ein: Dein Selkie ist verrückt nach dir. Und er wird kommen, um dich zu befreien. So wahr ich hier stehe.“
    Plötzlich war sie über mir. Eine Hand umfasste mein Kinn und drückte meinen Kopf zurück, die andere hielt das Messer an meine Kehle. Ich spürte die kalte Berührung der Schneide. Panik flutete mein Gehirn. Das konnte sie nicht tun! Unmöglich!
    „Bist du völlig übergeschnappt?“, brüllte Aaron. „Leg das Messer weg!“
    „Todesangst“, raunte es an meinem Ohr. „Die wohl stärkste Emotion, zu der ein Lebewesen fähig ist. Ich möchte wetten, er spürt deine Angst. Und sie wird ihn hierherlocken. Na komm, Kleine. Lass es raus.“
    Ruth drückte fester zu.

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