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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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näherten.
    Ich war gestorben. Hier unter Wasser.
    Nicht Louans Fell hatte mich zurückgebracht. Ich sah winzige dunkle Flecken nahe der Schwanzflosse. Raers Haut war es, die mich bedeckte.
    Ich war zu einem Selkie geworden, und was als schneidende Eissplitter durch meine Wahrnehmung wirbelte, waren Louans Gefühle, die nach mir riefen.
    All das war zu unglaublich, um es zu begreifen.
    Mein Blick glitt durch das Dunkel unter mir. Da! Ein helles Schimmern. Ich schwamm darauf zu, wendig und schnell wie ein Fisch. Es war Louans Tierhaut, treibend zwischen von der Strömung gewiegten Seegrasbüscheln.
    Ohne nachzudenken, nahm ich es mit meinem Mund auf – nein, mit meiner Schnauze –, schoss in das Dunkel des Meeres hinaus und folgte seinem Ruf.
    ~ Dr. Ruth Chapman ~
    „Sieh nach, ob jemand zu sehen ist.“
    Aaron tat, wie ihm geheißen. Ohne ein Wort, ohne einen Blick.
    Ruths Zweifel nahmen zu. Würde er nicht mehr lange zu ihr halten? Aber was sollte sie tun? Ihn etwa erschießen?
    Nun gut, zur Not würde sie diese drastische Maßnahme in Betracht ziehen. Niemand hielt sie auf dem Weg nach oben auf. Schon gar nicht dieser verliebte, närrische Gutmensch.
    Vielleicht täuschte sie sich auch in ihm. Diese Möglichkeit war ihr immer noch lieber, als eine Leiche verschwinden lassen zu müssen. Aaron war mit Leib und Seele Forscher. Seine Messlatte für korrekte Moral mochte höher als die ihre hängen, aber auch ihm war klar, was ihnen das Schicksal zugespielt hatte. Nichts anderes als ein Wunder, das ihre Erlösung verbarg.
    Ruth strich liebevoll über das silbern gestreifte Haar des schlafenden Selkies, der neben ihr auf der Pritsche lag. Zuerst hatte sie die Befürchtung gehegt, zwei Einheiten des Betäubungsmittels hätten für irreparable Schäden gesorgt, doch jetzt schien er langsam aus seiner tiefen Narkose zu erwachen.
    Wie verletzlich er aussehen konnte.
    Ein Trugschluss, wie der wilde Kampf ihr klar gemacht hatte. Um ein Haar wäre er entkommen. Ob das Mädchen überlebt hatte? Würde sie, falls das der Fall war, trotz ihrer Drohung irgendetwas ausplaudern?
    Ruth schnaufte und rieb sich den schmerzenden Schädel. Selbst wenn sie das tat, wer würde ihr glauben? Nüchtern betrachtet befanden sie sich in keiner Gefahr. Ihr Wort gegen das eines verträumten, von Wunderwesen faselnden Mädchens. Das ließ keinen Raum für Zweifel.
    „Keine Angst.“ Ihr Herz füllte sich mit Liebe, als sie mit den Fingerspitzen über die Brust des Selkies strich.
    Es war die Liebe zu dem Wesen, das ihr die ersehnten Spuren in der Ewigkeit bringen würde. Die einzige Unsterblichkeit, die ein Mensch erreichen konnte.
    Angesichts dieses Wissens rückte selbst die gigantische, schmerzende Beule an ihrem Kopf in den Hintergrund. „Unser Schicksal hängt von nun an zusammen. Wir werden wunderbar miteinander auskommen.“
    Hinter jedem Chaos lag Ordnung. Der Masterplan des Lebens bestand aus mathematischer Präzision und purer, ergreifender Harmonie. Was gab es Aufregenderes, als eine ganz neue Ordnung zu entdecken?
    Ihre Ungeduld wuchs. Wäre sie doch nur schon zurück in Inverness. Es würde ein paar Stunden dauern, das Nötige zu besorgen und in Aarons Keller zu verfrachten. Eine halbe Ewigkeit, bis sie endlich damit beginnen konnte, in eine fremde Welt voller Wunder einzutauchen. Ruth fühlte die kühle Zartheit seiner Haut. Sie war haarlos und glatt, angepasst an ein Leben im Wasser, um auch im menschlichen Körper so wenig Strömungswiderstand wie möglich zu gewährleisten. Was vor ihr lag, war ein Wunder, und sie würde die Erste sein, die das Tor zu dieser unglaublichen Welt öffnete. Auf der Konferenz in London würde man sie feiern. Man würde sie anflehen, sie um Erkenntnisse anbetteln, ihre Stiefel lecken und ihr huldigen. Und allein in ihrer Entscheidung lag es, wem sie die Ehre zugedachte, an ihrem Wissen teilzuhaben.
    Ruth stieß einen Seufzer aus. Könnte sie doch nur an Ort und Stelle mit den Tests beginnen. Wie sollte sie die lange Fahrt nach Inverness ertragen? Die Fähre ging erst morgen früh, jetzt herrschte tiefste Nacht. Entspannung war erst angesagt, wenn sie ihr Ziel erreicht hatten. Zuviel konnte noch geschehen. Zuviel war unvorhersehbar. Blieb nur zu hoffen, dass die Drogen, die sie aufgrund ihrer speziellen Wirkung ausgewählt hatte, bei einem Selkie genauso anschlugen wie bei einem Menschen.
    „Geduld“, ermahnte sie sich. „Nur Geduld. Bald haben wir die Muße, uns Tag und Nacht miteinander zu

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