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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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Vater brauchte ebenso dringend eine Auszeit wie ich. „Gib’s doch zu. Wir beide müssen uns davon überzeugen, dass wir nicht spinnen.“
    „Hast ja recht“, gab er zu. „Wie immer.“
    Dad ruderte, während ich in das petrolfarbene Wasser starrte. Felsen und Muschelbänke glitten unter uns hinweg. Dazwischen war der Grund gewellt wie die Dünen einer Wüste. Auf das Wasser fallende Sonnenstrahlen zauberten tanzende, gleißende Netze auf den Sand.
    Selbst wenn wir den Jungen nicht fanden, selbst wenn wir gar nichts fanden, taten wir etwas, das wir beide bitter nötig hatten.
    Wir stürzten uns in ein gemeinsames Abenteuer.

    Mit vereinten Kräften zogen wir das Boot an den Strand und machten uns auf den Weg. Es tat gut, Seite an Seite mit meinem Vater den Strand entlangzuwandern. Viel zu lange war unser letzter gemeinsamer Ausflug her. Viel zu lange hatten wir uns in unseren Sorgen vergraben. Wir winkten MacMuffin zu, der seine bockende Seagull wendete und zurück auf das offene Meer lenkte, atmeten die salzige Luft tief in unsere Lungen ein und lächelten uns zu.
    Vielleicht würden wir heute ein Wunder erleben.
    Und gemeinsam erkennen, dass Selkies wirklich existierten.
    Es wäre wundervoll, ein solches Geheimnis mit meinem Vater zu teilen – und wenn ich das Glitzern in seinen Augen richtig interpretierte, wünschte er sich dasselbe.
    Mein letzter Besuch auf der Insel war sieben Jahre her, aber ich erinnerte mich noch gut an die Ruine in der Mitte der Insel. Sie war geschützt von zwei hohen Felsen und einer Düne und bildete damit den einzigen wind- und blickgeschützten Ort auf diesem Eiland.
    Ohne ein Wort zu sagen, wussten wir beide, dass unser Weg dorthin führte. Wenn der Junge auf der Insel lebte, dann gewiss dort.
    Neben mir wurde Dad zunehmend nervös. Immer wieder hustete und räusperte er sich und wurde mit jedem Schritt zögernder.
    „Was, wenn er gefährlich ist?“, raunte er mir zu. „Wir wissen gar nichts über ihn. Er könnte uns angreifen. Oder verrückt sein. Oder uns auflauern.“
    „Blödsinn.“ Seit wann war mein Vater so unsicher und ängstlich? „Wenn, dann muss er vor uns Angst haben. Jetzt komm schon. Was ist los mit dir?“
    „Ich bin nur der treu sorgende Vater einer abenteuerlustigen Tochter.“
    Gerührt klopfte ich ihm auf die Schulter. Vor uns zwischen den Felsen tauchte die Ruine auf, verwittert und grau wie alte Knochen. Nichts war mehr von dem Gebäude übrig außer ein paar aufgeschichteten, von den Elementen glatt geschliffenen Steinen, die ein Rechteck bildeten.
    Kein Junge weit und breit. Dad und ich sahen uns an.
    „Enttäuscht?“, fragte er.
    „Hm. Keine Ahnung. Irgendwie schon.“
    „Ich weiß, was du meinst.“ Während er die verwitterten Steine befühlte, blieb ich mitten in der Ruine stehen und sah einer Möwe nach, die über uns hinwegflog.
    Ja, ich war enttäuscht. Aber was hatte ich erwartet? Dass der Junge hier hockte und nur auf uns wartete? Dass er uns mit zum Strand nahm und sich vor unseren Augen verwandelte, um uns zu beweisen, dass wir keine Spinner waren?
    Träum weiter, Mari.
    „Aber wenn er hier gewesen wäre“, sagte Dad, „was hätten wir dann getan? Man schließt nicht einfach Freundschaft mit einem Selkie.“
    „Warum nicht?“
    „Ach Mari.“ Er seufzte, bückte sich nach einem morschen Holzstück und hob es auf. „Es ist so verrückt. Dass wir hier sind, dass wir nach ihm suchen. Dass wir glauben, er sei ein …“
    „Das?“, unterbrach ich ihn.
    „Ja?“
    „Was dagegen, wenn ich ein bisschen für mich allein suche?“
    Er zog eine zerknirschte Grimasse und ließ das Holzstück fallen. „Von mir aus. Aber du bleibst in der Nähe. Da, wo ich dich sehen kann.“
    Ich nickte und nahm noch einmal die Ruine in Augenschein. Nirgendwo sah ich einen Hinweis darauf, dass hier jemand lebte. Oder etwa doch? Das Gras dort hinten in der Ecke sah flachgedrückt aus, als hätte jemand darauf gelegen. Ein paar leere Muschelschalen lagen herum, vielleicht das Frühstück des Jungen. Aber weder das eine noch das andere taugte als Beweis. Ob das hier wohl das Haus des unglücklichen Mannes war, von dem MacMuffin erzählt hatte? Wie klein es war, kaum größer als unsere Küche, und doch hatte vermutlich eine ganze Familie darin Platz gefunden. Strandhafer raschelte im Wind, wo früher Menschen Schutz gesucht hatten. Gras spross aus den Fugen der Mauern, Holzstücke lagen verstreut herum. Sie sahen aus wie die vermoderten Überreste uralter

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