Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
Vom Netzwerk:
Orkneys zu verlassen, unmöglich erschien. Und dass ich die Tatsache hasste, dass alles darauf hinauszulaufen schien. Wenn die Gärtnerei geschlossen würde, gäbe es für uns keinen Grund mehr, hier zu bleiben. Außer dem einen, dass hier unser Herz lag. Aber damit ließ sich nicht das verdienen, wovon man in dieser Welt abhängig war. Ich wusste, dass Dad seit Längerem mit dem Gedanken spielte, nach Edinburgh zu gehen. In der Stadt gibt es bessere Chancen, sagte er. Bessere Chancen auf Geld – und auf Unglücklichsein.
    In synchronem Schweigen und mit der gleichen, gebeugten Haltung kauerten wir über der Reling und beobachteten denFluss der Wellen. MacMuffin entging unsere Stimmung nicht, denn hinter dem Brausen des Windes und dem Knattern des Kutters erklang plötzlich seine Stimme.
    „Kennt ihr das Monster von Stronsay? Siebzehn Meter war es lang. Über zweihundert Jahre ist es nun schon her, aber die Geschichte erzählt man sich immer noch. Nachts, wenn das Kaminfeuer knistert.“
Dad und ich grinsten uns an. Immer, wenn wir MacMuffin begleiteten, gab er eine oder mehrere seiner Geschichten zum Besten. Leider war sein Geschichtenrepertoire begrenzt, sodass wir uns inzwischen mit mehrfach durchgekauten Schauermärchen begnügen mussten.
    „Kennen wir, MacMuffin“, brummte ich. „Davon hast du uns letztes Mal schon erzählt.“
    „Ich bin nicht MacMuffin!“, belferte er zurück. „Und auch nicht Muffy. Sagt’s noch mal, und ich werfe euch über Bord, ihr vertrockneten Landratten.“
    „Tut uns leid, Muffy“, erwiderte ich.
    Der Fischer knurrte einen unverständlichen Fluch. Er packte das Steuerrad noch fester, schob den Unterkiefer vor und sah mit seinem Seemannshut und dem riesigen Schnauzbart wie ein mürrischer, alter Klabauter aus. Rechts neben ihm stand ein altes Sonargerät und zeigte piepsend an, dass sich nicht weit vor uns ein Fischschwarm befand. Offenbar war er MacMuffin zu klein, denn er kümmerte sich nicht darum, schipperte weiter und brummte ein Seemannslied vor sich hin.
    Ziellos ließ ich meinen Blick über den Horizont schweifen. In der Ferne erkannte ich die blaue Silhouette einer Insel, und plötzlich wusste ich, was ich tun wollte. Nein, was ich tun musste. Den Jungen wiederzufinden war eine idiotische Hoffnung, aber es war eine Hoffnung.
    „Dad“, rief ich gegen das Brausen des Windes an. „Ich will, dass ihr mich auf Skara Brae absetzt.“
    Das Gesicht meines Vaters war ausdruckslos, als er mich ansah. Der Protest, in dessen Erwartung ich mich bereits gestrafft hatte, blieb aus. Offenbar hatte er mit genau diesem Vorschlag gerechnet. Verstohlen warf Dad einen Blick auf MacMuffin. In sein Lied vertieft hing der Fischer über seinem Steuerrad und schien nichts um sich herum wahrzunehmen.
    „Du willst diesen Jungen suchen?“, flüsterte Dad mir ins Ohr. „Stimmt’s oder habe ich recht?“
    Seine Reaktion verblüffte mich derart, dass mir nichts Besseres einfiel als ein Nicken.
    „Und du willst auf diese Insel“, fuhr er fort, „weil man sie auch Selkie-Insel nennt.“
    „Ja.“
    „Gut. Aber nicht ohne mich. Wir gehen beide auf die Insel, oder keiner von uns. Allein lasse ich dich nicht dorthin.“
    „Von mir aus.“ Ich sah ein, dass es nichts brachte, meinen Vater von etwas anderem zu überzeugen. Außerdem hatte er recht. Es war vernünftig, keinen Alleingang zu unternehmen. Viele Gerüchte rankten sich um die Insel. Viele erzählten von einem Fluch. Von uralten Geistern, die rachsüchtig jeden verfolgten, der einen Fuß auf das Eiland setzte.
    Und sie erzählten von Seehunden, die zu Menschen wurden. Skara Brae sei einst ihre Heimat gewesen, wusste eine Geschichte zu berichten. Aber dann waren Jäger gekommen und hatten sie alle getötet. Schon vor langer, langer Zeit.
    „Muffy?“, rief mein Vater dem Fischer zu. „Würdest du einen kleinen Umweg nach Skara Brae machen und uns dort absetzen?“
    „Skara Brae?“, echote er mit ungläubigem Grunzen. „Was wollt ihr da? Das ist kein guter Ort. Und nennt mich nicht Muffy, Teufel noch eins.“
    „Bring uns einfach hin, Andreas“, beharrte Dad. „Nach deinem Fischzug kannst du uns wieder abholen.“
    „Keine gute Idee“, schnarrte MacMuffin. „Ihr kennt doch die Geschichten über Selkies. Die kennt ihr doch, oder? Jeder kennt die. Sogar ihr Landratten.“
    Dad zog eine Grimasse, ich zuckte angestrengt gleichmütig mit den Schultern.
    „Die Insel gehörte den Selkies“, fuhr der Fischer fort. „Nur ihnen

Weitere Kostenlose Bücher