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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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Möbel und führten mir vor Augen, wie vergänglich alles Lebendige war.
    Während Dad eine Nische in einer der Mauern in Augenschein nahm, ließ ich die Ruine hinter mir und wanderte quer über die Insel. Auf der anderen Seite bestand der Strand aus glatt geschliffenen Kieseln und malte mit Tönen aus Grau, Anthrazit und Schwarz ein düsteres Bild.
Ich legte den Kopf in den Nacken und sog den Anblick der barocken Wolkenberge in mich auf. Der Wind duftete salzig und frei. Ja, er roch nach Freiheit, auch wenn meine Mum behauptet hatte, dass Gefühle keine Gerüche haben.
    Mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich hier richtig war. Er war auf dieser Insel, irgendwo, und vielleicht behielt er uns im Auge, seit wir angekommen waren. Andererseits hatte mich mein Bauchgefühl schon oft betrogen. Ich durfte nichts darauf geben, und doch glaubte ich deutlich zu spüren, dass mich jemand beobachtete. Mein Herz begann zu hämmern. Die Ruine war inzwischen aus meinem Blickfeld verschwunden, verdeckt von Felsen und gräsernen Hügeln. Dreimal drehte ich mich um die eigene Achse und sah mich um. Raschelnder Strandhafer, der klauenförmige Felsen, ein leerer Strand und das grünblaue Meer. Sonst nichts. Doch das Gefühl eines Blickes, der auf mir ruhte, wurde mit jedem Atemzug intensiver.
    Alle Sinne angespannt ging ich weiter. Leise klackerten die Kiesel unter meinen Schritten, kein Junge und kein Seehund waren auszumachen. Nur ein paar Möwen tanzten über der Brandung. Das Nordende der Insel bestand aus einem Labyrinth aus Felsen, und trotz des mulmigen Gefühls im Nacken folgte ich dem Impuls, auf ihnen herumzuklettern. Während ich wie eine Bergziege auf schroffem Stein balancierte, summte ich den dramatischsten Part der Carmina Burana vor mich hin. Hier und heute zählte nichts, nur der Moment.
    Nicht nachdenken, nur nicht nachdenken …
    Ich erklomm gerade einen besonders rutschigen Felsen voller Seepocken, als mir etwas Silbriges ins Auge fiel, das ein paar Meter vor mir auf einem flachen Stein lag. Mein Herz tat einen heftigen Schlag. Ich blinzelte, erklomm den Felsen und blinzelte noch einmal.
    Da war es. Das Seehundfell.
    Der Wind spielte mit einem Zipfel davon, ließ durch die Bewegungen den Pelz schimmern und glänzen wie Satin.
    Nimm das Fell eines Selkies, und er wird für sieben Jahre dein sein.
    Meine Knie wurden weich. Schnell kletterte ich den Felsen hinunter, schrammte mir an den scharfen Kanten einen Ellbogen auf und stieß mir das Schienbein an. Vielleicht hatte der Junge mich entdeckt und würde sich und das Fell in Sicherheit bringen, und dann würde ich für immer in Ungewissheit leben, weil ich ihn nie wiedersah. Doch der Pelz lag noch immer auf dem Stein, als ich hinter dem Felsen vortrat und darauf zuging. Langsam, Schritt für Schritt. Nichts regte sich. Ich ging noch näher, bis ich vor dem Stein stand. Als ich mich vorbeugte und das Fell berührte, stockte mir der Atem. Seidig fühlte es sich an. Fast meinte ich, noch die Wärme zu spüren, die ihm anhaftete. Mit zitternden Händen hob ich das Fell auf und drückte es an meine Brust. Im gleichen Augenblick erklang hinter mir das Klackern von Kieseln.
    Ihr fuhr herum. Nichts war zu sehen, aber hier gab es viele Verstecke. Viele Möglichkeiten, sich meinem Blick zu entziehen.
    „Bist du hier?“, rief ich laut in den Wind hinein.
    Niemand antwortete. Gleichgültig rumorte die Brandung.
    „Ich weiß, dass du hier bist. Geht es dir gut? Bitte rede mit mir, wir machen uns Sorgen.“
    Stille.
    „Willst du nicht dein Fell wiederhaben? Ich gebe es dir zurück. Bitte, ich will nur wissen, ob es dir gut geht.“
    Wieder nichts. Nur das Brausen der Wellen. Also gut. Behutsam rollte ich den Pelz zusammen, drückte ihn an meine Brust und setzte mich auf einen der flachen Felsen. Kälte drang durch meine Hose, der Wind wurde abrupt stärker und kälter. Es fühlte sich an wie eine Warnung, wie ein Ausdruck von Empörung, als wolle die Insel mich spüren lassen, dass ich etwas Falsches getan hatte. Doch dann brach die Sonne durch die Wolken und wischte diesen Eindruck fort. Warm schien sie mir ins Gesicht, brachte die Schneeflecken auf den Kieseln zum gleißen und spielte auf den grünen Wellen. Was war falsch daran, zu träumen? Und darauf zu hoffen, das Geheimnis hinter den Träumen zu lüften?
    Lass ihn kommen, flehte ich stumm. Bitte. Ich muss wissen, dass ich nicht durchdrehe.
    Doch es kam, was kommen musste. Und zwar niemand. Lange saß ich auf meinem Felsen

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