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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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Enttäuschung wühlte sich durch die Kehle in seinen Magen hinunter. Ruth wollte sich wieder bei ihm ausheulen. Na klar, was auch sonst? Vielleicht war ihr irgendein Patzer unterlaufen, der ihr offiziell niemals widerfahren würde, weil sie für Fehler viel zu genial war. Er war der Mann, der über keinerlei Sozialkontakte verfügte und daher nicht den Drang verspürte, ihm angetragene Geheimnisse weiterzuverbreiten.
    „Wer hat dir was zugespielt?“, grummelte er.
    „Der Sohn vom Bruder meines Onkels väterlicherseits.“
    „Hä?“
    Ruth winkte unwirsch ab. „Vergiss es. Der Junge wohnt oben auf den Orkney-Inseln. Letztes Wochenende hatte er Streit mit seinen Eltern, schnappte sich ein Boot und fuhr auf eine einsame Insel, um ihnen einen Denkzettel zu verpassen. Auf dieser Insel hat er etwas aufgezeichnet, das … verdammt, sieh’s dir einfach an. Dann wirst du wissen, was mit mir los ist. Und wenn du irgendwem was sagst, reiße ich dir den Arsch auf.“
    „Mit Vergnügen“, erwiderte Aaron brüskiert. „Könnte mir gar nichts Schöneres vorstellen.“
    Ruth warf ihm einen scharfen Blick zu und öffnete das Video. Es war von mittelmäßiger Qualität und zeigte eine typische Landschaft der Orkneys. Meer, kahles Land und graue Wolken. Inmitten eines Tanghaufens lag ein toter Schweinswal. Offenbar der Grund, weshalb der Junge seine Kamera angeschaltet hatte.
    „Und?“ Aaron hob die Arme und ließ sie wieder fallen. „Was bitte meinst du?“
    „Warte!“ Das Zittern beschränkte sich nicht mehr auf Ruths Hände.
    So aufgedreht hatte er sie noch nie gesehen.
    Inzwischen bebte ihr gesamter Körper, als wäre sie an eine Autobatterie angeschlossen. „Da, jetzt kommt er. Pass genau auf.“
    Die Kamera schwenkte zur Seite, zeigte die rollende Brandung und etwas Helles, das aussah wie ein Seehund. Das Tier zog sich an den Strand hinauf, rollte sich auf die Seite und blieb still liegen. Sein Fell glänzte bemerkenswert silbern.
    „Hübsch“, kommentierte Aaron. „Ungewöhnlich, aber nicht spektakulär. Wohl die hell gefärbte Unterart einer gewöhnlichen ...“
    Er stockte. Etwas geschah mit dem Tier. Es drehte seinen Bauch zur Kamera, krümmte sich und zuckte wie unter Schmerzen. Der Grund für seine Qual war offensichtlich: Ein klaffender Schnitt zog sich von der Schwanz- bis zur Brustflosse, als hätte ein Unsichtbarer ein ebenso unsichtbares Messer über die Haut der Robbe gezogen. Aaron zog eine angeekelte Grimasse. Blut floss in den Sand. Jede Menge Blut. Und plötzlich wühlte sich ein menschlicher Arm aus dem Tierkörper hervor.
    Heilige Scheiße!
    Immer heftiger wand sich das Geschöpf. Es warf sich hin und her, riss die Wunde weiter auf, bis zwei Hände, blutbeschmiert und blass, an dem Fell zerrten. Hervor kam ein Mensch. Er schlüpfte aus dem Tier wie ein Schmetterling aus einer Puppe, streifte das blutige Fell von seinem Körper und richtete sich zu voller Größe auf.
    „Großer Gott.“ Alles Blut sackte aus seinem Kopf. „Ich werd’ verrückt. Was zum Teufel ist das?“
    Da stand das Wesen, hielt den Robbenpelz an seine Brust gedrückt und sah gedankenverloren auf das Meer hinaus. Es schien ein junger Mann zu sein, kaum älter als zwanzig, mit nackenlangem, schwarzem Haar, durch das sich helle Strähnen zogen. Sein athletischer Körper war besudelt von Blut und unidentifizierbaren Resten der Metamorphose. Das Wesen tat nichts, außer dazustehen und bewegungslos in die Ferne zu blicken. Die Aufnahme begann zu zittern, vermutlich, weil der Junge, der die Videokamera hielt, kurz vor einem Herzinfarkt stand. Das Bild ruckelte und bebte immer heftiger, bis man schließlich nichts mehr sah. Nur einen feuchten, schwarz glänzenden Felsen.
    „Pack alles zusammen. Noch heute Abend setzen wir uns ins Auto.“ Ruth schloss das Video und stand auf. Wahnhafte Entschlossenheit funkelte in ihren Augen wie Splitter in einem eisblauen Meer. Sie bückte sich, hob einen langen Koffer auf den Schreibtisch und öffnete ihn. Aaron schnappte nach Luft, als er ein Gewehr darin liegen sah.
    „Aber das ist …“
    „Nur zur Betäubung, du Idiot.“ Sie öffnete eine in den Koffer integrierte Tasche. Etwa ein Dutzend silberne, mit roten Büscheln bestückte Pfeile befanden sich darin. „Denkst du, ich bin bescheuert? Lebend ist er um ein Vielfaches wertvoller als ausgestopft.“
    „Du willst …“ Aaron rieb sich die Schläfen. „Natürlich willst du. Herrgott, woher wissen wir, dass das Video echt ist? Kennst

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