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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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brachte uns ins naher Zukunft endlich wieder Gewinne ein.
    „Geduld musst du haben“, war der liebste Spruch meines Vaters. Es machte ganz den Anschein, als behielt er recht. Nur eines schien nicht einmal Geduld herbeizuführen. Die Rückkehr der Magie in mein Leben. Das Wiederaufleben des Zaubers. Ich wusste, dass es besser war, wenn Louan den Inseln fernblieb, und doch ertappte ich mich wieder dabei, wie ich nach ihm rief.
    Ich flüsterte seinen Namen in den Wind hinaus, wenn ich nachts auf den Klippen saß. Ich schlief mit seinem Gesicht vor Augen ein und wachte mit ihm in meinen Gedanken auf. Ich konnte nicht loslassen. So sehr es der Vernunftmensch in mir auch wollte, und so oft ich mir auch einzureden versuchte, dass ich ihn kaum kannte. Wir hatten ihm das Leben gerettet, ich hatte eine Nacht lang an seiner Seite gelegen und seinen Schlaf bewacht.
    Konnte das reichen, um mich so lange mit Sehnsucht zu füllen?
    Heute, am ersten Tag meiner Ferien, hockte ich mit einem Schlafsack und einer Decke im Gepäck auf MacMuffins Kutter und blickte dem Strand von Skara Brae entgegen. Dad hatte in der Gärtnerei zu tun und konnte mich nicht begleiten, weshalb der Fischer mit der strengen Auflage geschlagen war, alle zwei Stunden an der Insel vorbeizufahren und nach dem Rechten zu sehen. Wie immer, wenn ich nach Skara Brae fuhr, hatte ich mich dem Eiland farblich angepasst. Ich wollte kein Kratzer auf einem perfekten Gemälde sein. Meine Hose und der Rucksack waren braun wie die Erde, mein Kapuzenpullover dunkelgrün wie der Tang, den die Brandung anspülte. Der Schlafsack und die Decke sandfarben. Ich wollte ein Teil der Insel sein. Dazugehören wie die Steine, die Möwen und die Seehunde.
    „Ich hole dich heute Abend wieder ab“, brummte MacMuffin und blickte mich streng an. „Verrückte kleine Sprotte. Dass dein Vater dir so was erlaubt. Und denk dran, alle zwei Stunden bist du am Strand und zeigst mir, dass es dir gut geht.“
    „Muss es alle zwei Stunden sein?“ Ich ließ das Ruderboot zu Wasser und kletterte hinein. „Was soll mir hier schon passieren? Ich kann nicht ausspannen, wenn du mich andauernd beobachtest.“
    „So und nicht anders lautet mein Auftrag. Schau alle zwei Stunden nach ihr, oder das war’s mit unserer Freundschaft. So hat’s dein alter Herr gesagt. Was ist, wenn dieser komische Junge wiederkommt?“
    „Der Junge ist harmlos, ich schwöre es dir.“
    „Ach ja? Nichtmal dein Vater ist sich da sicher, obwohl er es Stein auf Sprotte behauptet hat. Ich habe es an seinem Blick gesehen.“
    „Schluss jetzt.“ Warum taten alle so, als wäre ich ein Kleinkind? Mit MacMuffin im Nacken würde ich nie abschalten können. „Ich will für ein paar Stunden allein sein. Das ist eine winzige Insel, hier kommt keiner her. Bitte, Muffy ... ich meine Andreas. Ich will einfach nur meine Ruhe. Allein sein. Absolut allein sein. Verstehst du?“
    „Hm“, brummte MacMuffin. „Du bist alt genug. Es ist die Sache deines Vaters, dir solche Dummheiten zu verbieten. Nicht meine. Wir sehen uns heute Abend.“
    „Danke“, knirschte ich. „Was wäre ich nur ohne dich?“
    „Eine noch verrücktere kleine Sprotte.“ Der Fischer packte das Steuer und lenkte seinen Kutter auf die offene See hinaus. Ich wartete, bis er nur noch ein heller Punkt am wellentanzenden Horizont war, dann ruderte ich ans Ufer, zurrte das Boot fest und tauchte in meine geliebte Einsamkeit ein.
    Sämtliches Gepäck, mit Ausnahme meines Rucksacks, ließ ich in der Ruine zurück, wo ich, geschützt vor dem Wind, gemeinsam mit Dad schon so manche Nacht verbracht hatte. Ein wenig vermisste ich ihn. Seine Stimme, seine leisen, neugierigen Grunzer, die er ausstieß, wenn er irgendein Fundstück untersucht hatte. Sein gelöstes Gesicht. Die vielen Besuche auf der Insel, die ohne jede magische Begegnung geendet waren, hatten ihn wohl zu der Überzeugung gebracht, es gäbe weit und breit keinen Selkie mehr. Anderenfalls hätte er mich nie allein hierherfahren lassen. Dessen war ich mir sicher.
    Ich ging zum zerklüfteten Nordende der Insel und setzte mich auf einen Felsen. Die Ebbe kehrte ein. Glucksend strömte das Wasser durch die Priele und hinterließ eine Ebene, die mich an die gerillte Bauchhaut eines Wales erinnerte. Das bleiche Licht des Himmels spiegelte sich im Schlick. Eine Traumwelt. Weit und verschleiert. Gemacht, um sich darin zu verlieren.
    Ich war froh, dass graue Wolken die Sonne verdeckten. Ich war froh über das Weltfremde, das

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