Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
Vom Netzwerk:
wieder und wieder, bis der größte Wal den nunmehr toten Seehund schnappte und verschlang.
    Sonnenwärme trocknete mein Fell, während ich die Jagd verfolgte. Ausgehungert von der Wanderung kreisten die Jäger umher und warteten auf das nächste unvorsichtige Tier. Die Seehunde entluden ihre Angst in wildem Geschrei. Wie seltsam, dass meine Gedanken ausgerechnet jetzt um Mari kreisten. Hier lag ich, in Gestalt des Tieres als Teil einer wilden, gnadenlosen Welt, in der jeder Gedanke an das Menschsein fern war.
    Lass los !, verlangte meine Vernunft. Es bedeutet nur Schmerz.
    Spüre sie noch einmal , wünschte sich mein Herz. Ihre Wärme. Ihren Trost.
    Das Tuckern des blauen Kutters riss mich aus meinen Gedanken. Die Männer hatten mich verfolgt, weil sie in mir den Seehund erkannten, der ihre Netze zerbiss. Einer der Fischer hob sein Gewehr.
    Die Kugel schoss durch das Wasser, gerade als ich mich hineingleiten ließ. Sie verfehlte mich um Armeslänge. Ich tauchte tief und schwamm weit, bis die großen Strömungen mich auffingen und mit sich nahmen, hinaus in das endlose Blau, hinter dem irgendwo eine neue Heimat lag.

Kapitel 5
    Wie ich mich befreite
    „Vorüber die Flut.
Noch braust es fern.
Wilde Wasser und oben Stern an Stern.
Wer sah es wohl, o selig Land,
wie dich die Welle überwand.
Noch braust es fern.
Der Nachtwind bringt Erinnerung
und eine Welle verlief im Sand.“
Rainer Maria Rilke
    Universität Inverness, Institut für Molekularbiologie
    ~ Dr. Aaron Welsh ~
    „ D ie beiden wichtigsten Arbeitsfelder in der Molekularbiologie sind die Erforschung der Funktion der Proteine in der Zelle und die Erforschung der Genexpression und Genregulation.“
    Aaron verkniff sich ein genervtes Seufzen. Dreizehn Gesichter schweiften im Labor umher und deckten sämtliche Facetten von desinteressiert bis zu Tode gelangweilt ab. Warum machte er das hier? Ach ja, er war zu dieser Schülerführung verdonnert worden. Weil er erst sechs Monate in diesem Institut arbeitete und weil er der Idiot für alles war. In erster Linie betraf das sämtliche Aufgaben, für die sich die anderen Mitarbeiter zu schade waren.
    Wo war er hin, sein Traum vom großen Erfolg? Wann waren sie geplatzt, seine Seifenblasen aus Illusionen und Hoffnungen? Nein, noch gab er nicht auf. Was waren schon sechs Monate? Irgendwann würde es schon bergauf gehen, er durfte nur nicht aufhören, daran zu glauben. Aaron dachte an seine vor Jahren gestorbenen Eltern und fühlte das übliche Elend in seinen Eingeweiden. Die beiden hatte es mit unermüdlicher Arbeit und trotziger Entschlossenheit geschafft, sich aus Bombays Slums freizukämpfen und in einem Dreihundert-Quadratmeter-Loft inmitten von London zu landen. Würde er jemals auch nur annähernd so viel leisten? Betrachtete er die dümmlich glotzende Schar vor sich, zweifelte er daran. Immerhin war er nicht mehr der Jüngste. Nächstes Jahr beging er seinen vierzigsten Geburtstag. Viel Spielraum für eine steile Karriere gab es nicht mehr.
    „Zunehmend wird das Forschungsgebiet der Molekularbiologie von weiteren Feldern der Biologie und Chemie überlappt“, spulte er weiter seinen Text hinunter und führte die Schüler an den Reihen aus Tischen, Computern und hochmoderner Labortechnik vorbei. „Insbesondere seien genannt die Biochemie und die Genetik. Das Steckenpferd meiner Person ist allerdings die Krebsforschung.“
    Neben Kaffeekochen, Reagenzgläser sortieren, Mäusekäfige putzen und Rotzlöffel durch die Labore führen.
    „Woran wird hier gerade gearbeitet?“, fragte eine Schülerin aus den vorderen Reihen. Aaron war verblüfft, denn er hätte schwören können, dass jeder der Anwesenden seinen Vortrag so spannend fand wie einen betäubten Regenwurm.
    „Mutagenese“, antwortete er mit einem gekünstelten Lächeln. „Die Erzeugung von Mutationen im Erbgut von Lebewesen.“
    „Krank“, kommentierte jemand in der hintersten Reihe. „Wette, die haben Menschen mit Schafsköpfen im Keller und sezieren Welpen bei lebendigem Leib.“
    Aaron verdrehte die Augen. Ja, genau. Sie waren eine gewissenlose Horde irrer Wissenschaftler, die mit glühendem Blick und Einstein-Frisuren in irgendwelchen Kellern Ungeheuer zusammenbastelten und Unschuldige sezierten. Ihm stieg die Galle hoch. Das war das letzte Mal, dass er sich als Führer verdingte, und wenn die Konsequenz in lebenslanger Taufliegenzucht bestand.
    „Es tut mir leid“, sagte er in fachmännischem Tonfall, „euer zweifellos filmreifes Kopfkino

Weitere Kostenlose Bücher