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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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verlieren? Du vertraust mir, und ich vertraue Olivia. Sie liebt Selkies seit ihrer Kindheit. Von ihr kenne ich alle Geschichte darüber. Also bitte, Mari, setz dich hin und gib ihr eine Chance.“
    Ich presste die Lippen aufeinander und gehorchte. Zahllose Gefühle strömten wie eine Flut auf mich ein. Schlechtes Gewissen, Sorge, Angst, Schuldbewusstsein. Wut auf mich selbst, Wut auf Olivia, die Louan mit untertassengroßen Augen begaffte. Totale Verwirrung.
    „Ich habe euch Maris Lieblingsessen gekocht.“ Dad versuchte sich kläglich im Umschiffen dieser heiklen Situation. „Salzbraten und selbst gebackenes Baguette, Meersalzbutter und Tomatensalat. Also, greift zu.“
    „Warum hast du mir damals nicht geholfen?“ Olivias Worte schwebten inmitten ungläubigen Schweigens.
    Mir sackte alles Blut aus dem Gesicht.
    „Was meinst du damit?“, fragte ich. „Woher kennt ihr euch?“
    Jetzt war es Louan, der das Wort ergriff: „Ihre Eltern besaßen damals ein Selkiefell. Olivia stahl das Fell, stürzte sich ins Wasser und versuchte, sich zu verwandeln. Sie hatte Geschichten gehört, dass es Menschen möglich wäre, zum Seehund zu werden.“
    „Wenn sie es sich nur fest genug wünschen, ja.“ Olivias Augen schwammen plötzlich in Tränen. „Es hätte funktioniert. Ich habe es gespürt. Und dann kamst du. Deine Augen sind dieselben. Ich wäre bei dir gewesen, als deinesgleichen, aber mein Vater zog mich aus dem Wasser.“
    Plötzlich fiel der Groschen. Die Geschichte, die Olivia mir erzählt, oder besser gesagt grob umrissen erwähnt hatte. Das erste und einzige Mal, dass ihre Eltern sie geschlagen hatten. Das Fell aus ihrem Keller.
    Warum hast du mir damals nicht geholfen?
    Dabei geholfen, zum Meer zu gehören. Nicht, an Land zurückzukommen. In meinen Ohren rauschte das Blut. Besaß Olivia dieses Fell noch immer? War es tatsächlich möglich für einen Menschen, zum Selkie zu werden? Ich warf Louan einen scharfen Blick zu.
    Sag es mir! Ist es möglich?
    „Du wärst gestorben“, antwortete er sanft. „Kein Mensch überlebt die Verwandlung. Eure Körper sind nicht dafür geschaffen.“
    „Ich wäre nicht gestorben.“ Olivias Stimme zitterte, Tränen rannen über ihre Wangen. „Ich wäre zum Seehund geworden. Ich hätte alles hinter mir gelassen.“
    „Nein. Für beide Seiten ist es unmöglich, die Grenze zu überschreiten. Ich kann niemals ein Mensch bleiben, du könntest nie zu meiner Welt gehören.“
    Olivia spießte ihre Gabel in ein dampfendes Stück Braten. Schluchzend begann sie, es in kleine Würfel zu zerlegen.
    „Woher hattet ihr ein Selkiefell?“, fragte ich vorsichtig.
    Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Es lag im Keller, seit ich denken kann.“
    „Existiert es noch?“
    „Nein. Nachdem mein Vater mich aus dem Wasser fischte, warf er das Fell auf den Müll.“
    Louan und ich tauschten einen vielsagenden Blick. Die Tatsache, dass etwas so Schönes und Bedeutsames im Müll endete, erschien mir ungeheuerlich. Ich sah, wie er kaum merklich den Kopf schüttelte.
    „Es gehörte einem Mädchen, das sich unsterblich in einen Fischer verliebte.“ Seine Stimme nahm eine hypnotische Weichheit an. Dunkel war sie, traurig und auf einer Ebene betörend, die direkt auf das Unterbewusstsein einwirkte. Während er sprach, fühlte ich mich, als trüge mich eine lockende Strömung sanft auf das Meer hinaus. „Sie war bei ihm, wann immer er zum Fischen hinausfuhr. Aber als er sie eines Tages entdeckte, dachte er, sie wolle seine Netze zerbeißen. Er erschoss sie, zog ihr das Fell ab und warf ihren Kadaver zurück ins Wasser. Es muss zu Zeiten deines Urgroßvaters gewesen sein. Weißt du etwas über ihn? War er Fischer auf den Faröer-Inseln?“
    Olivia erwiderte fassungslos Louans Blick. „Ja, das war er. Mein Vater hat mir alte Fotos gezeigt. Der Fischer hieß William. Oh mein Gott, dann hat er sie getötet? Er hat das Mädchen getötet, das ihn liebte?“
    Louan nickte. „Ihre Seele blieb mit dem Fell verhaftet. Sie war darin gefangen, deshalb hattest du als Kind das Gefühl, es dir unbedingt umlegen zu müssen. Das Mädchen wollte ins Leben zurückkehren und hat nach dir gerufen. Vielleicht hätte sie es dir ermöglicht, zum Selkie zu werden, aber du wärst fortan mit ihr gemeinsam in einem Körper gefangen gewesen. Du hättest mit ihr nach einem Fischer gesucht, der seit Jahrzehnten tot ist. Du wärst wie sie verrückt geworden vor Trauer.“
    Olivia starrte ins Leere. Dann, als wäre

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