Sturmherz
„Jede Krankheit und Verletzung behandelte sie selbst. Nur bei Ciara versagt ihr Talent.“
Ich senkte beklommen den Blick. Besser, ich sagte nichts dazu. Gemächlich durchschritten wir die engen Gänge, die zwischen den Beeten und Glaskästen hindurchführten.
„Dad sagt immer“, begann ich zu plaudern, „dass er irgendwann mal eine Flugsalbe herstellen will. Hier ist alles, was er dafür braucht. Eisenhut, Schierling, Belladonna, Beifuß, Engelstrompete.“
„Und was ist mit Fledermausflügel, Wolfsherz und dem Fett eines ungetauften Kindes?“ Louan zupfte einen Zweig des Lavendels ab, zerrieb ihn zwischen den Fingern und schnupperte daran. „Hat er das auch vorrätig?“
„Es gibt viele Rezepte für Flugsalben. Ich denke, wir bevorzugen die harmlose Variante.“
Jetzt standen wir vor unserem prächtigen Belladonna-Busch. Louan stellte sich hinter mich, schloss seine Arme um meinen Oberkörper und strich mit den Lippen zart über meinen Nacken.
Ich biss mir so fest auf die Unterlippe, dass ich Blut schmeckte.
Mein Gott, es fühlte sich so gut an.
So richtig.
Ich wollte mich umdrehen und endlich wieder seine Lippen auf meinen spüren, doch mein Körper war gelähmt. Gefangen in der Wärme seiner Arme.
„Früher glaubte man, die Belladonna wäre die Heimat des Hausgeistes“, flüsterte er mir ins Ohr. „Man hat ihre Früchte als Aphrodisiakum genutzt. Und als Mittel gegen Krämpfe und Tollwut.“
Seine Finger strichen durch mein Haar, während er Küsse auf meinen Hals hauchte. Aphrodisiakum? Was wollte er mir damit sagen? Zitternd lehnte ich mich gegen seinen Körper, und als sich seine Arme noch enger um mich schlossen, kam ein Seufzen über meine Lippen.
„Nimmst du nur ein paar Beeren, verfällst du in einen Rausch.“
Seine Stimme wurde dunkel und warm. Unverhohlen verführerisch.
Ich spürte sein weiches Haar an meiner Wange, roch sein salziges Aroma.
„Deswegen nennt man sie auch Tollkirsche. Du weißt nichts mehr von Vernunft oder Gewissen. Du tust wie von Sinnen nur noch das, was du wirklich willst.“
Meine Beherrschung wankte. Noch ein wenig mehr, ein wenig mehr Flüstern, ein paar weitere Berührungen, und ich würde keine Belladonna brauchen, um mich zu verlieren. Seine Lippen schwebten über meinem Hals, fuhren die Linie meines Kiefers nach und glitten zur Schläfe hinauf.
„Du bist wie die Belladonna. Wenn ich bei dir bin, fühle ich mich wie im Rausch. Ich will nur noch eins: mehr von dir. Auch wenn es nicht gut ist.“
„Nicht gut? Warum?“
Ich drehte mich in seinen Armen und blickte zu ihm auf. Hinter dem silbergestreiften Schwarz seiner Haare glühten seine Augen. Er verbarg nicht, was er wollte. Der Wunsch lag in seinem Blick, in seinem Lächeln und den lauernden Schritten, mit denen er vor mir zurückwich.
„Zeig mir die Rosen.“
Ich nickte, holte ein paar Mal tief Luft und folgte dem Gang in den nächsten Abschnitt unseres Gewächshauses. Wie eine wild gewordene Trommel hämmerte das Herz in meiner Brust.
Würde er über Nacht bleiben oder wieder nach Skara Brae flüchten?
Würde er die einsame Kälte des Meeres der Wärme in meinem Zimmer vorziehen?
Feuerfarbene, violette, rote und gelbe Blüten füllten das gläserne Zimmer, in das wir nun traten. Es gab betörend duftende, malvenfarbene Rosen, blass vanillefarbene Rosen, schwarze, blutrote, orange und weiße Rosen.
Dad legte keinen Wert auf Ordnung, sodass alte Sorten neben modernen standen, englische Rosen neben deutschen, Damaszenerrosen neben Kletterrosen.
Louan blieb stehen, schloss die Augen und drehte sich um seine eigene Achse. Verzückung legte sich über sein Gesicht.
Plötzlich war sie wieder da. Die unverfälschte, trügerische Unschuld, die kein Wässerchen trüben konnte.
„Woher stammt ihr?“, fragte ich. „Wo liegt der Ursprung eurer Rasse?“
„Ich weiß es nicht.“ Er zuckte nur die Schultern und befühlte eine Blüte nach der anderen. „Es gibt Mythen, Sagen und Legenden. Mündliche Überlieferungen über Jahrtausende hinweg, von denen jede einen wahren Kern hat.“
„Und was sagen diese Geschichten?“
Louan umfasste eine Rose, in der sich gelbes Feuer zum Blütenrand hin in rote Flammen verwandelte. „Die Alten erzählten, dass am Anfang der Zeiten mächtige Wesen in unsere Welt kamen, um Menschen und Tiere zu erschaffen. Als sie aber sahen, dass der Mensch sich vom Rest der Schöpfung löste, kam ihnen der Gedanke, sie wieder daran zu erinnern, dass alles auf
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