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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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Gesicht. Vor ihr saß der Selkie in seiner menschlichen Gestalt, und er wusste, weshalb sie gekommen war.
    Verdammt, das machte die Sache um vieles schwerer.
    Ihr Blutdruck schoss in die Höhe. Sie zitterte, ihr Herz raste, alles wurde dumpf und neblig. Aaron tauchte neben ihr auf und fixierte den Selkie mit ausdrucksloser Miene. Wie konnte dieser Idiot über mehr Körperbeherrschung verfügen als sie? Ruths Gedanken überschlugen sich. Sie durfte sich keinen weiteren Fehler erlauben.
    Reiß dich zusammen. Bleib ruhig.
    Als sie ihre Tasche ablegte und an Thomas übergab, fühlte sie sich wie schwerelos. Hier und heute erfüllte sich ihr Schicksal. Das Ziel ihrer Träume war so nah und doch unerreichbar. Solange die Zeugen sie umringten, waren ihr die Hände gebunden. Sie musste es irgendwie schaffen, den Mann und die beiden Frauen loszuwerden.
    Aber wie? Diese Menschen wussten Bescheid, und sie würden den Teufel tun, sie mit dem Selkie allein zu lassen.
    „Guten Morgen“, nuschelte Ruth. „Tut mir leid, dass ich so mit der Tür ins Haus falle, aber darf ich euch ein paar Fragen stellen?“
    Scheiße , fluchte sie insgeheim. Scheiße, Scheiße, Scheiße. Wenn er jetzt verschwindet, dann auf Nimmerwiedersehen. Er weiß Bescheid. Er weiß verdammt noch mal Bescheid. Tu was, lieber Gott. Spiel mir irgendwas in die Hände. Bitte!
    Sie nahm auf einem der Holzstühle Platz, während Mari langsam nickte. Eines musste man diesem Mädchen lassen, es erlangte bemerkenswert schnell seine Selbstbeherrschung wieder. Ihre zuvor weit aufgerissenen Augen wurden schmal, ihr offen stehender Mund schloss sich.
    Die blond gelockte Frau starrte stur in eine volle Kaffeetasse hinab. Ihre Aura aus Erschöpfung und Verwirrung war schier greifbar.
    „Nur zu.“ Augenscheinlich gelassen zerrupfte Mari ihr Brötchen. „Schießen Sie los.“
    Thomas goss Kaffee in zwei große schwarze Becher und stellte sie auf den Tisch. Aaron griff danach wie eine Klapperschlange nach der Maus. Stur hielt er den Blick auf die Tischplatte geheftet, nur um das Wunder, das vor ihm saß, nicht ansehen zu müssen. Ruth verfügte zu ihrem Leidwesen nicht über genug Beherrschung, dem Anblick des Selkies zu widerstehen. Ehe sie sichs versah, versank sie in abgrundtiefen, schwarzen Augen.
    Seehundaugen.
    Die Haut des Selkies war überirdisch glatt und hell, glich in ihrer Zartheit transparentem Perlmutt. Sein Blick … mein Gott, sein Blick schien direkt in ihre Seele zu gleiten. Sanft war er, und doch lag darin die gewaltige Macht des Ozeans. Ein kaum merkliches Lächeln hob seine Lippen. War dies hier nicht mehr als ein Spiel für ihn? Fühlte er sich sicher, weil er wusste, dass er ihnen überlegen war?
    Dieses Geschöpf war wunderschön. Es war eine Fleisch gewordene Legende, es war die materialisierte Magie des Meeres. Ruth fühlte sich plötzlich winzig klein und hilflos. Unter dem Blick des Selkies schrumpfte ihr Körper mehr und mehr, bis sie sich fühlte wie eine Garnele im zähnestarrenden Maul eines Hais.
    Sie musste es heute schaffen, ihn zu überwältigen.
    Heute oder nie.
    „Der Fischer sagte uns, ihr wärt häufiger auf Skara Brae.“
    War das Aarons Stimme? Ruth zuckte zusammen. Unvermittelt fand sie sich in der Wirklichkeit wieder, zitternd und ausgefüllt mit Kälte. Ja, Aaron saß neben ihr und redete auf das Mädchen ein. Alles war so unwirklich, als bewege sie sich in einem Traum.
    „Wir möchten nur wissen, ob euch auf dieser Insel jemals etwas aufgefallen ist. Habt ihr einen der weißen Seehunde gesehen? Oder sonst ein ungewöhnliches Exemplar? Versteht unser Anliegen nicht falsch, wir sind nicht hier, um den Tieren zu schaden. Unsere Aufgabe besteht im Erfassen und Katalogisieren dieser Seehunde. Wir nehmen an, dass es sich um eine ganz neue Unterart handelt.“
    „Ich habe mal einen gesehen“, sagte Mari mit fester Stimme. Die blonde Frau neben ihr tat einen Schluchzer, stand auf und suchte das Weite. Ruth wollte ihr nachblicken, doch der Selkie hielt sie gnadenlos fest. Es war, als schlänge er unsichtbare Fesseln um ihren Körper, um sie eine Kraft spüren zu lassen, die jenseits aller Vorstellungskraft lag. Beruhend allein auf seinem Willen.
    „Aber das ist Monate her. Es war auf einem Wochenendausflug und mindestens fünfzig Seemeilen südwestlich von Westray.“
    „Dann habt ihr auf Skara Brae niemals ein solches Tier gesehen?“, hakte Aaron nach.
    „Nein.“
    „Nun gut, um mehr ging es uns nicht. Dann müssen wir wohl

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