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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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zusammengebissenen Zähnen. „Wenn wir den Selkie finden, haben wir ausgesorgt. Wir werden so hoch fliegen, dass wir nie mehr den Boden berühren.“
    „Und gehen dafür auch über Leichen?“
    „Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und trotzdem die Klappe halten.“
    „Tzzz“, machte er.
    „Mein Gott, Aaron. Geht das schon wieder los? Was hast du erwartet? Einen Bollywood-Film, in dem sich am Ende alle in den Armen liegen? Dann wach mal wieder auf. In der Wissenschaft mussten für höhere Ziele schon immer Opfer gebracht werden.“
    „Höheres Ziel?“ Aaron kniff die Augen zusammen. „Unter einem höheren Ziel verstehe ich etwas Edles und Gutes. Etwas, das allen Menschen hilft. Wenn wir den Selkie finden und ihn der Öffentlichkeit präsentieren, passiert nur eins: Dubiose Gestalten werden ihn verschwinden lassen und mit der Hand auf dem Herzen schwören, es hätte ihn nie gegeben. Glaubst du, die Herren und Damen Wissenschaftler sind mir nichts, dir nichts bereit, all ihr Wissen zu verwerfen und neu zu ordnen? Wach du mal lieber auf.“
    Ihre Hand kribbelte vor Verlangen, ihm eine Ohrfeige zu verpassen. Nein, viel lieber wäre ihr ein gewaltiger Kinnhaken, an dessen Anschluss sie ihn nach Leibeskräften würgte. „Weißt du was?“, presste sie hervor. „Du gehst mir wirklich auf die Nerven.“
    „Dito.“
    „Würde es dir etwas ausmachen, deine Meinung mit ins Grab zu nehmen?“
    Aaron runzelte die Stirn und wusste nichts zu entgegnen.
    Drinnen im Haus rumorte etwas. Es klang wie ein Stuhl, der über Steinfliesen geschoben wurde.
    „Ein Gutmensch ist dazu da“, fügte sie hinzu, „um in den Arsch getreten zu werden. Wenn du für den Rest deines Lebens vor irgendwelchen Professoren buckeln willst, deren Nasen in den Wolken stecken, dann fahr zurück nach Inverness und verschanz dich hinter deinem Sperrholz-Schreibtisch. Aber jammere als Windeln tragender Greis nicht herum, dass du in deinem Leben nichts erreicht hast.“
    Ein Schatten erschien hinter dem Milchglas. Ruth warf Aaron noch schnell einen scharfen Blick zu, ehe die Tür geöffnet wurde.
    „Ja bitte?“ Vor ihr stand ein Mann mit dem Umfang eines Whisky-Fasses und dem Gesicht eines Vollmonds. Er überragte sie um zwei Köpfe, sein wirres, grau meliertes Haar berührte den Türrahmen. Im Hintergrund war Klaviermusik zu hören. „Wie kann ich Ihnen helfen?“
    Ruth straffte sich und spulte ihre übliche Vorstellung hinunter. Kaum erwähnte sie, im Auftrag des biologischen Instituts unterwegs zu sein, verengten sich die grauen Augen des Mannes argwöhnisch.
    Erwischt! Ruths Jagdeifer wurde zu einem leidenschaftlichen Inferno. Hier war sie richtig. Das Mädchen und dieser Mann steckten unter einer Decke und wussten über die Selkies Bescheid. Dafür legte sie ihre Hand ins Feuer.
    „Könnte ich wohl kurz mit Mari sprechen?“, schloss sie ihren Vortrag. „Ich hätte ein paar Fragen an sie.“
    „Worüber?“, verlangte ihr Gegenüber zu wissen.
    „Nichts Besonderes. Wir trafen uns vorhin im Hafencafé und kamen ein wenig ins Gespräch. Dabei wurde eine Frage aufgeworfen, die ich gerne mit ihr klären möchte. Meinen Sie, das wäre in Ordnung?“
    Der Mann zögerte einen Augenblick. Schließlich trat er zur Seite, nickte und vollführte eine einladende Geste. Die Aufgesetztheit dieser Gesten wäre einem Blinden aufgefallen. Ruth benötigte all ihre Professionalität, ihre aufkochende Erregung nicht sichtbar werden zu lassen.
    „Ich bin Thomas“, sagte er. „Maris Vater. Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“
    Kaffee! Halleluja. Etwas Besseres hätte diesem Mann nicht einfallen können. Gewisse menschliche Grundbedürfnisse traten nicht einmal hinter einem Wunder zurück. Sie brauchte Koffein. Und zwar dringend. Ruth schlüpfte an ihm vorbei ins Innere des Hauses und holte zu einer dankbaren Floskel aus – die ihr jedoch im Halse stecken blieb, als ihr Blick nach links schweifte. Hin zu der offenen, urig eingerichteten Küche.
    Das Mädchen aus dem Café saß an einem Tisch aus dunklem Holz, flankiert von einer jungen Frau mit blondem Lockenkopf, deren Augenringe von einer durchwachten Nacht kündeten.
    Und Mari gegenüber saß … der Selkie.
    Ruth verlor für die Dauer eines Herzschlags die Kontrolle über ihre Gesichtszüge. Ehe es ihr gelang, den Mund wieder zuzuklappen, war bereits der Funken der Erkenntnis durch seine Augen gehuscht. Er war es. Gar keine Frage. Diese schwarzen, silbergesträhnten Locken. Dieses

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