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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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und die Socken, und mit jedem Teil, das ich ablegte, wurde meine Entscheidung klarer. Es war ein flüchtiger Traum gewesen. Nichts weiter. Eine Illusion. Ich musste dahin zurück, wohin ich gehörte.
    „Nein!“ Maris Stimme erstickte fast in den Tränen, als ich das Fell aus der Schublade des Sideboards holte. „Bitte tu das nicht.“
    „Es ist besser so.“ Ich legte den Pelz um meine Schultern und ging zur Tür. Ein Traum. Nichts weiter. Und ich war schon oft aus Träumen aufgewacht. Aber keiner war so schön gewesen wie dieser.
    „Die Jäger werden wiederkommen, wenn ich sie nicht weglocke. Wenn ich irgendetwas zwischen euch zerstört habe, tut es mir leid. Das lag nicht in meiner Absicht.“
    „Kannst du ihnen nicht die Erinnerung nehmen?“ In Maris Blick trat eine Kälte, die mich erschreckte. „Kannst du das?“
    Ich antwortete nicht. Jemandem die Erinnerungen zu nehmen, bedeutete, seine Seele zu rauben. Zurück blieb ein Zustand, der schlimmer war als der Tod. Die Zeit, in der mich die Grausamkeit dieses Aktes nicht erreicht hatte, war vorbei. Selbst meinem schlimmsten Feind wünschte ich diese Leere nicht. Abgesehen davon ging mit jedem Seelenraub ein Stück dieser Leere in einen selbst über, bis man das Gefühl hatte, innerlich zu gefrieren wie das Meer in den kältesten Wintern.
    „Kannst du es?“, knurrte sie.
    Ich schüttelte den Kopf. „Das spielt keine Rolle. Selbst wenn ich es könnte, würde ich es nicht tun.“
    „Aber die beiden kamen hierher, um dein Leben zu zerstören. Sie würden dir gegenüber keine Gnade zeigen, also wenn du es kannst, dann tu es. Jedes Geschöpf will frei sein, sagtest du das nicht? Und es ist das Recht jedes Geschöpfes, für seine Freiheit alles zu tun.“
    „Mari!“ Thomas Stimme klang wie Donnergrollen. „Weißt du eigentlich, was du da von dir gibst? Du hast keine Ahnung, wozu er fähig ist. Du weißt überhaupt nicht, wer er ist. Was er ist. Er kann Gefühle beeinflussen. Was, wenn er dich nur benutzt? Wolltest du wirklich mit ihm schlafen, oder hat er dich nur manipuliert?“
    „Dad!“ Tränen rannen über Maris Wangen, als sie zu mir herumfuhr. „Das würdest du niemals tun. Sag es ihm. Du würdest mir niemals wehtun.“
    Die Erwiderung blieb mir im Halse stecken. Ich dachte an all die Schiffe, die im Mahlstrom aus Sturm und Wasser zerschellt waren. An all die Seeleute, die in die Tiefe gesunken waren, an zerrissene Segel im Sturm und verzweifelte Schreie. Seelen irrten durch die Nacht und tanzten als Leuchtfeuer um die Masten. Sie alle riefen meinen Namen.
    „Ich muss gehen.“ Ehe Mari noch etwas sagen konnte, riss ich die Tür auf und warf sie hinter mir zu.
    Ich rannte so schnell mich meine Beine trugen. In wenigen Tagen, wenn der Sommervollmond über dem Meer aufging, würde ich vergessen können. Bis dahin musste ich die Jäger auslöschen und diesen Ort verlassen. Wohin sollte ich schwimmen? Ganz gleich, solange es weit genug entfernt war, um im Wasser nicht mehr den Geruch der Inseln zu erahnen.
    Ich rannte dorthin, wo die Klippen abflachten und in sanften, grasbewachsenen Hügeln zum Strand hinunterführten. Vielleicht beobachteten Ruth und Aaron mich und nahmen die Verfolgung unmittelbar auf. Vielleicht musste sie erst ein weißer Seehund auf das Meer locken. So oder so kam ich nicht um einen letzten Akt des Seelenraubes herum. Und danach würde ich weit schwimmen, so weit wie nie zuvor. Irgendwo hinter dem Horizont lagen das Vergessen und die gnädige Wildheit der See, die Mari aus meinen Gedanken tilgen würde.
    Ich sprang ins Wasser und verwandelte mich in einer einzigen Drehung. Das Meer schmeckte nach aufkommenden Stürmen, eine passende Untermalung für das, was ich fühlte. Mein Körper lotete seine Grenzen aus. Ich schwamm bis zur völligen Erschöpfung, und dann, als ich glaubte, ohnmächtig auf den Grund sinken zu müssen, zwang ich mich, noch schneller zu schwimmen. Erschlaffte Muskeln spannten sich stärker denn je. Grimmige Kraft durchflutete meinen Leib. Hinter der Grenze, die einem das Fleisch vorgaukelte, befand sich wahre Freiheit. Keine Gedanken, keine Gefühle.
    Nur unbändige Wildheit des Tieres.
    Evelyne …
    Mari …
    Erinnerungen fluteten meinen Geist. Schon einmal hatte ich das gefühlt, was ich jetzt fühlte. Verlust. Wut. Leere. Meine Gedanken flogen zurück in jene ferne Zeit, als Ciara noch an meiner Seite gewesen war.
    Ciara … meine kleine Schwester …
    … den ganzen Nachmittag lang hatten wir Flundern

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