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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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lächelte herausfordernd. „Ist sie dir nicht wie aus dem Gesicht geschnitten, Mutter? Wenn ich die Bilder deiner Jugend sehe, sehe ich meine Tochter.“
    Florence presste die Lippen zu einem weißen Strich zusammen und sagte nichts. Mit wenigen Worten hatte es Jules geschafft, ihr und Jacob mehr weh zu tun, als es eine Waffe es vermocht hätte.
    Lustlos stocherte Evelyne in den Kartoffeln herum, während ihre Wangen glühten. Wann immer ihr Vater nicht auf sie achtete, sah sie mich an. Sehnsuchtsvoll. Verzweifelt. Wie ein Vogel, der in einem viel zu kleinen Käfig hockte und traurig den ziehenden Wolken nachblickte. Glaubte sie etwa, ich könnte sie befreien? Das Streitgespräch zwischen Jules, Florence und Jacob erreichte mich nur noch von fern. Ich sah Evelynes weiches Haar und ihre braunen Augen. Ich roch ihren Fliederduft und schmeckte Traurigkeit auf meiner Zunge. Die Art, wie sie winzige Bissen zu sich nahm und darauf herumkaute, wie sie lose herabfallende Haarsträhnen verschämt hinter ihre Ohren strich, ihr Besteck mit zierlichen Gesten führte und immer wieder erschrocken blinzelte, sobald unsere Blicke sich kreuzten, entfachte in mir eine nie gekannte Faszination. Wie ihre Lippen sich kräuselten. Wie ihre Wimpern hauchzarte Schatten auf ihre bleichen Wangen warfen.
    „Du kannst sie nicht so verlottern lassen“, zerriss Jules Stimme meinen Gedankennebel. „Sie werden verkümmern. Ihre Moral wird nicht mehr wert sein als die eines seelenlosen Tieres. Ich werde sie mit nach Boston nehmen. Hier haben sie keine Zukunft. Der Junge soll eine Bildung genießen, die seiner offenkundigen Intelligenz würdig ist. Das Mädchen wird in eine anständige Dame verwandelt, die bald eine treffliche Partie abgeben wird.“
    „Nirgendwo gehen sie hin.“ Jacobs Stimme war trotz seines offenkundigen Schmerzes ruhig und fest. „Ich unterrichte sie selbst, und zwar so, wie ich es für angemessen halte. Du hast keinerlei recht, dich in unser Leben einzumischen. All die Jahre waren wir dir egal. Jetzt kommst du her und willst uns vorschreiben, wie wir zu leben haben? Schlag dir das aus dem Kopf. Es ist schlimm genug, dass du deine Frau und dieses arme Ding ins Unglück stürzt.“
    „Das Alter trübt euren Verstand“, rief Jules empört. „Diese Kinder verwahrlosen.“
    „Diese Kinder sind glücklich“, protestierte Florence. Ihre Hand krallte sich in den weinroten Stoff ihres Kleides, als hätte sie ihrem Sohn am liebsten mitten ins Gesicht geschlagen. „Sie leben so, wie es ihnen gefällt, und wir werden den Teufel tun, sie zu einem Dasein in einem goldenen Käfig zu zwingen. Sonst werden sie ebenso unglücklich, wie es deine Tochter ist. Gott möge der Seele des armen Mädchens gnädig sein, du bist es offensichtlich nicht.“
    „Evelyne ist glücklich“, polterte Jules. „Sie tut das, was ihr von Gottes Gesetz her bestimmt ist, und sie tut es gerne. Sieh dir stattdessen dieses Mädchen an. Sie ist schmutzig, liederlich und trägt noch dazu eine Hose, ganz wie ein dahergelaufener Straßenjunge oder wie ein diebischer Zigeuner.“
    „Sie trägt eine Hose, weil es sich damit besser reitet.“ Florence Stimme troff vor Abscheu. „Und was du Schmutz nennst, ist Sonnenbräune und ein bisschen Staub hinter den Ohren.“
    „Willst du sagen, sie reitet wie ein Mann? Ohne Damensattel?“
    „Natürlich.“ Florence rollte mit den Augen. „Schon ich fand diese Dinger scheußlich. Was kümmert es dich? Hier sind wir allein, ganz für uns. Also leben wir genau so, wie es uns gefällt.“
    Jules Gesicht wurde röter als die Äpfel in der Schale. „Das tut nichts zur Sache, Mutter. Hier geht es um das Schicksal zweier junger Menschen. Es macht ganz den Anschein, als wäret ihr mit der Erziehung dieser Kinder hoffnungslos überfordert. Ich werde sie mitnehmen, und wenn du dich weigerst, Vater, werde ich entsprechende Maßnahmen ergreifen. Du bist alt. Es dürfte kein Problem darstellen, deine Unzurechnungsfähigkeit nachzuweisen. Zumal diese Kinder wohl kaum rechtmäßig adoptiert wurden, oder irre ich mich? Habt ihr sie gar von der Straße aufgelesen und macht euch einen Spaß daraus, sie wie Äffchen zu verhätscheln?“
    „Wir fanden sie mutterseelenallein am Strand und gaben ihnen ein neues Zuhause.“ Jacobs Augen wurden schmal vor Zorn. „Wenn das für dich skandalös ist, schmore von mir aus in der Hölle.“
    Ciara sprang auf und reckte das Kinn. Stolz und schön begegnete sie Jules gnadenlosem Blick. „Wir

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