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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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gehen nicht mit euch. Wir bleiben hier. Du kannst uns gar nichts befehlen. Komm, Bruder. Lass uns ausreiten.“
    Während Jules Luft holte und sich in höchsten Tönen zu ereifern begann, welch unfassbare Unzucht in diesem Haus herrschte, nahm ich Ciara bei der Hand und rannte nach draußen.
    Eine laue Frühlingsnacht umfing uns. Wir holten die Pferde aus dem Stall, schwangen uns auf ihre bloßen Rücken und wollten zum Strand reiten. Doch dann sah ich, wie Evelyne aus dem Haus gestolpert kam und die Tür hinter sich zuknallte. Ihre Schluchzer klangen herzzerreißend, während sie die Treppe hinunter taumelte, und ehe ich wusste, wie mir geschah, ritt ich zu ihr und zog sie auf mein Pferd. Ihre dünnen Arme klammerten sich an mich, ihr warmer Körper schmiegte sich an meinen. Sie keuchte erschrocken, als das Pferd losgaloppierte, aber gerade als ich dachte, sie hätte Angst, verwandelten sich ihre Schreckenslaute in vergnügtes Lachen. Ich trieb den Hengst an, bis er nur so dahinflog. Das Meer jagte mondglänzend an uns vorbei, der Strand war kaum mehr als ein leuchtender Schweif in der Nacht.
    Als ich hoch auf den Klippen das Pferd zügelte, hörte ich, wie Evelynes Lachen wieder in Weinen überging. Ihre Tränen durchnässten mein Hemd. Mit verzweifelter Kraft klammerte sie sich an mich, als wolle sie mich niemals wieder freigeben.
    „Warum läufst du nicht weg?“, fragte ich. „Warum bleibst du bei ihm, wenn du es so hasst?“ Ich neigte meinen Kopf zu ihr hin. Wohliges Kribbeln füllte meinen Bauch, als unsere Wangen sich aneinanderschmiegten. „Du hast immer noch deinen freien Willen.“
    „Nein“, flüsterte sie. „Den hatte ich nie. Mein Vater behandelt mich wie ein einfältiges Haustier. Er hat viele Pläne für mich, und ich muss ihm gehorchen. Ich werde das Leben führen, das schon meine Mutter führte. Und sie habe ich nie lächeln sehen.“
    Ihre Worte erschreckten und verwirrten mich. „Warum lebt ihr so?“
    „Ich weiß es nicht. Vielleicht, weil es alle von einem erwarten?“
    „Bleib bei uns“, ereiferte ich mich. „In unserem Haus ist genug Platz. Wir erwarten gar nichts von dir.“
    Evelyne schüttelte den Kopf. Eine Träne rollte über ihre Wange. Als ich sie mit der Spitze des Zeigefingers auftupfte, fing sie meine Hand ein und schmiegte ihre Lippen an meine Haut. Mir blieb fast das Herz stehen. Der Schmerz der unsichtbaren Nesseln schoss direkt in meine Lenden. Es zog und ziepte an einer Stelle, die sich bisher niemals geregt hatte.
    „Ich kann nicht fliehen“, flüsterte sie. „Er würde mich niemals gehen lassen. Und wenn ich verschwinde, wird er zur Not die ganze Welt aus den Angeln heben, um mich zurückzuholen.“
    „Dann bekommt er es mit mir zu tun. Ich lasse nicht zu, dass er dir weh tut. Eher verfüttere ich ihn an die Seehunde, und zwar so klein geschnitten wie Florences Heringssalat.“
    Evelyne seufzte und rieb ihr Gesicht an meinem Handrücken. Ich hatte ihr ein Lachen entlocken wollen, wenigstens ein Kichern, stattdessen brannten ihre Tränen auf meiner Haut.
    „Er wird seine Wut an meiner Mutter auslassen“, sagte sie. „Wir sind sein Besitz. Und ich bin es solange, bis ich in den Besitz seines Geschäftsfreundes übergehe.“
    „Dein Vater ist ein Ungeheuer.“ Mir wurde heiß vor Wut. Ich wollte Jules nicht nur aus dem Fenster hängen, sondern ihm den steifen Hals umdrehen. Ich wollte ihm Verstand einprügeln und seine Beine in das Maul eines Orcas stopfen, nur um ihn jammern und winseln zu hören. „Niemand gehört irgendwem, nur sich selbst.“
    „Das ist ein Spruch aus deiner Welt.“ Sie küsste die Spitzen meiner Finger und legte ihre freie Hand auf meine Wange. Sehnsucht glitzerte in ihren Augen. „In meiner existiert keine Freiheit. Nicht für mich.“
    Und dann beugte sie sich vor und küsste mich. Ihre Lippen schmeckten süß, nicht nach Meerwasser wie unsere. Und sie waren warm, so wunderbar warm.
    Ich konnte mich nicht rühren, versank ganz und gar in dem Gefühl unserer Berührung, die so vollkommen anders war als alles, was ich zuvor gespürt hatte. Das Brennen und Ziepen in meinen Lenden wurde so heftig, dass ich nach Luft schnappte. Ihre Hand löste sich von meiner Wange, wanderte tiefer und schob sich unter mein Hemd. Finger zitterten über meine Brust, legten sich vorsichtig darauf. Jeder Herzschlag, jeder Atemzug drängte sich gegen ihre Hand.
    Nie hatte ich solche Zuneigung verspürt wie in diesem Augenblick. Für einen flüchtigen

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