Sturmjäger von Aradon - Magierlicht - Nuyen, J: Sturmjäger von Aradon - Magierlicht
zuzuschnüren, schlurfte sie aus dem Zimmer. Es roch nach Abendessen. Hel hatte Hunger, aber der konnte warten. Sich die Haare glatt streichend, ging sie zu Novas Zimmer und klopfte.
Drinnen erklang gedämpftes Papierrascheln, dann Schritte. Die Tür öffnete sich und Nova stand ihr gegenüber.
Er sah grässlich aus. Das lockige Haar stand ihm wirr zu einer Seite ab, unter seinen Augen zeichneten sich zwei längliche lilafarbene Schatten ab. Das Hemd hing ihm aufgeknöpft über den Schultern.
»Habe ich dich aufgeweckt?«, fragte Hel vorsichtig.
Mit einem Schulterzucken trat er beiseite und ließ sie ins Zimmer. Es roch stickig. Auf dem Schränkchen neben seinem Bett türmten sich Weingläser und angekrustete Kaffeebecher, obwohl sie erst ein paar Stunden unterwegs waren; über die Kissen lagen bunte Bonbonpapiere verstreut.
»Du kannst dich nicht nur von Süßkram ernähren.« Hel wusste nicht, warum sie das sagte. Sie kam sich vor wie seine Großtante.
Nova ließ sich auf seinen knarzenden Sessel fallen, zog eine Schachtel Schokoladenfrüchte unter sich hervor und warf sich eine dunkel überzogene Traube in den Mund. Wortlos nahm sich Hel eine, als er ihr die Schachtel hinhielt. Danach ließ er sie auf seinen Schreibtisch fallen. Ein paar Schokotrauben kullerten über die Papierrollen und Bücher, die darauf ausgebreitet waren.
»Weißt du, was man über Leute sagt, die viel Süßes essen?«, mampfte er. »Dass sie eine traurige Kindheit hatten.«
Hel schluckte hinunter. Die Schokolade blieb ihr im Hals kleben. »Und du hattest eine traurige Kindheit?«
»Mein ganzes Leben ist traurig.« Er vergrub das Gesicht in den Händen und stöhnte. »Wann hört dieses Elend einmal auf?«
»Versuch doch einfach, erwachsen zu werden!« Sie ließ sich auf der Bettkante nieder, hob ein halb volles Weinglas vom Boden auf und trank einen Schluck. Nova seufzte jetzt, einmal, zweimal, als bekäme er schwer Luft. Hel glaubte fast zu sehen, wie ihm die Tragik seines Lebens aus den Poren troff.
»Jetzt reiß dich zusammen, verdammt noch mal«, sagte sie besänftigend. »Hat Aricaa dir so ein schlechtes Gewissen gemacht?«
Er strich sich die Haare aus der Stirn, um Hel anzusehen. »Wie bitte, schlechtes Gewissen? Ich hasse mich wegen ihr! Ich hasse den Feigling, der ich ihretwegen bin. Ein schlechtes Gewissen, das habe ich schon, seit ich zum ersten Mal einem Mädchen das Herz gebrochen habe …« Sein Blick irrte träumerisch durch den Raum, als suchte er nach der Erinnerung.
Hel zog geräuschvoll die Nase hoch. Sie kannte diese Momente inzwischen. Dann brach der ganze Pathos eines jungen Menschen aus ihm hervor, der zu viel liest.
»Was hat sie denn gesagt?«
Nova beobachtete konzentriert, wie er seine Fingerspitzen aneinandertippte, als sei es das Interessanteste auf der Welt.
»Nova?«
»Nichts«, murmelte er. »Sie hat nichts gesagt.«
Hel runzelte die Stirn. Aricaa war ihr nie wie jemand vorgekommen, der den Mund nicht aufbekam. Eher hätte sie erwartet, dass die Magierin ihm eine ordentliche Standpauke hielt. Vielleicht war sie stattdessen handgreiflich geworden … Hel musterte ihn besorgt, doch es waren keine blauen Flecken oder Handabdrücke zu sehen.
»Hast du dich wenigstens entschuldigt?«
»Nein.«
»Nein?«
Er schüttelte knapp den Kopf.
»Wenn ihr nicht geredet habt, was habt ihr denn dann gemacht?«
Er warf ihr einen missbilligenden Blick zu und unterstellte ihr damit eine Anzüglichkeit, an die sie überhaupt nicht gedacht hatte. »Willst du’s wirklich wissen? Also schön, noch mieser kann ich mich sowieso nicht fühlen, egal was du mir vorwirfst. Hier.« Er fasste unter die Papiere, Bücher und Schokofrüchte auf dem Schreibtisch und beförderte ein weißes Taschentuch hervor. Erst auf den zweiten Blick erkannte Hel das magische Taschentuch wieder, das Meisterin Medeah ihm in Moia geschenkt hatte.
Das Taschentuch, das unsichtbar machte.
»Oh nein.«
»Sie hat mich nicht gesehen.« Nova schloss die Faust um das Taschentuch. »Sie stand ganz still da, die ganze Zeit, und hat auf mich gewartet. Ich hätte sie berühren können.«
Hel stellte sich vor, wie Aricaa bibbernd auf der windigen Brücke stand. Sie tat ihr leid.
»Warum?«, fragte sie kraftlos.
»Weil ich ein Feigling bin.« Er schwieg einen Moment, starrte das Weiß an, das zwischen seinen fest geschlossenen Fingern hervorquoll. »Ich habe mir alles, was ich ihr sagen wollte, genau zurechtgelegt. Ich wollte ihr sagen, dass ich sie
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