Sturmjäger von Aradon - Magierlicht - Nuyen, J: Sturmjäger von Aradon - Magierlicht
»Nova hat auch verdammt viel auf dem Kerbholz. Aber im Grunde ist er schon ein guter Mensch.«
Kelda beobachtete sie aus seinen stillen, aufmerksamen Augen, die selbst so wenig preisgaben. »Es ist gut, dass du ihn hast.«
»Was meinst du?« Hel hatte das Gefühl, dass der Ise eines ihrer Geheimnisse durchschaute, aber sie konnte beim besten Willen nicht sagen, was für eins.
»Du glaubst an das Gute in Nova, trotz der Dinge, die du an ihm bemängelst. Es ist ein großes Geschenk, so jemanden im Leben zu haben. Dem man vertraut.« Er schob sich die Pfeife unter den Umhang und setzte sich die Kapuze auf, als das Schiff durch eine Nieselwoge glitt. Hel merkte deutlicher denn je, dass sie Kelda von allen Gefährten am wenigsten kannte. Während der letzten Monate waren sie alle an ihre Grenzen gestoßen, sie hatten wochenlang zusammen in der Wildnis geschlafen, waren nicht selten isischen Rebellen entkommen, ganz zu schweigen von einem Riesentroll in den Bergen. Irgendwann zwischendurch hatte jeder von ihnen etwas preisgegeben: Olowain, dass er kein Blut sehen konnte, Harlem, dass sie in Gondurill einen Sohn zurückgelassen hatte; selbst Berano, der von allen Söldnern noch am verschwiegensten war, hatte bei einem Weingelage in Aradon unter Tränen und Rülpsern offenbart, dass er todunglücklich verliebt sei. Nur Kelda war, egal in welcher Situation, so verschlossen und beherrscht geblieben wie jetzt. Hel wusste praktisch nichts über ihn. Nicht einmal, was sein Lieblingsgericht war. Er aß ja auch kaum mit den anderen zusammen.
Als sie ihn nun von der Seite betrachtete, fiel ihr auf, wie ausgemergelt er war: Die nussfarbene Haut spannte sich deutlich über den Wangenknochen, seine Augen versanken in Schatten wie Lichter auf dem Grund des Meeres. Sie versuchte sich zu erinnern, ob er schon immer so hager ausgesehen hatte, doch sie bezweifelte es. Als er merkte, dass sie ihn anstarrte, wandte sie sich schnell den Trollen zu.
»Hast du denn jemanden, dem du vertraust?«, fragte sie und versuchte ganz beiläufig zu klingen. Aber natürlich ließ Kelda sich in seiner Rätselhaftigkeit nicht so leicht fassen.
Er zog ein Knie an und stützte die Arme darauf. »Wahrscheinlich kannst du dir das nicht vorstellen, aber wir beide haben einiges gemeinsam.«
Hel schwieg. Sie konnte es sich sogar sehr gut vorstellen, aber sie sagte nichts und wartete.
»Auch ich … habe meine Familie früh verloren.« Es klang, als erinnerte er sich erst jetzt daran, dass er eine Familie gehabt hatte – eine höchst verwunderliche Begebenheit. »Ich weiß noch, wie der Junge hieß, mit dem ich Muscheln getauscht habe, und ich kann mich an die Alte erinnern, die immer die Netze in den Buchten auslegte, aber meine Schwestern – außer ein paar Kleinigkeiten, die ich noch über sie weiß, sind sie mir verloren gegangen. Ich musste kämpfen, im Krieg zwischen Moia und Lhun. Und lernen, dass es überall Gut und Schlecht gibt – bei den Isen wie bei den Menschen.« Er öffnete die Hände, schmal wie von einer Frau beinahe, und legte sie bedächtig zusammen, als schließe er ein Buch. »Ich weiß, wie es ist, keinen Boden unter den Füßen zu haben. So sagt man in der Sprache der Isen. Nicht zu wissen, woher und von wem man abstammt. Mir hat niemand gesagt, wer ich bin. Ich denke, dir auch nicht.« Er sah sie an, doch sobald er merkte, wie ihre Miene erstarrte, blinzelte er rasch weg. »Wenn man keine Familie hat, die einem sagt, wer man ist, muss man selbst die Antwort finden. Nun, vielleicht muss das jeder ein bisschen. Aber wir noch mehr, und niemand hilft uns dabei. Das ist schwer, so schwer, wie Freiheit eben zu tragen ist. Und man muss achtgeben, die Antwort bei sich zu suchen und nicht bei anderen. Egal, wie gut und ehrenhaft sie einem vorkommen.« Er machte eine Pause, die Hel unangenehm deutlich erschien. Endlich fuhr er fort: »Und ganz alleine dazustehen, macht es fast unmöglich, an das wahre Gute in anderen zu glauben. Dieses Vertrauen, das Vater und Mutter ihrem Kind als größtes Geschenk mitgeben können, ist für solche wie uns selten zu erlangen. Darum kannst du so froh sein, in Nova einen Freund zu sehen, dem du trauen darfst. Er ist dann der Boden, auf dem du stehst.«
Hel dachte darüber nach. Nova als Halt im Leben – jeden anderen hätte sie für diese rutschige Planke herzlich bemitleidet. Aber erstaunlicherweise war dieser Gedanke für sie gar nicht so beunruhigend, jetzt wo sie darüber nachdachte. Auch wenn er
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