Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
Vom Netzwerk:
hast du gesagt, James?«
    »Ich habe den Doktor geholt. Er kommt gleich.«
    Als Samuel begriff, was der Junge getan hatte, vergaß er seine ganze christliche Frömmigkeit und geriet in unfaßbare Wut. Langsam stand er von seinem Stuhl auf.
    »Du hast einen Arzt geholt?«
    James wich zurück. »Ja, Vater. Du hast doch nicht gewußt, was du tun sollst, und –«
    Mit einem Riesensprung kam Samuel hinter dem Tisch hervor. James sah noch die große Hand, die zum Schlag ausholte, dann klatschte ihm diese Hand mit solcher Wucht ins Gesicht, daß ihm Hören und Sehen verging. Er schrie auf, mehr vor Schreck als vor Schmerz, und drückte sofort eine Hand auf sein linkes Ohr. Samuel packte ihn beim Arm, riß die schützende Hand weg und verabreichte ihm noch einen Schlag auf die Kopfseite. Vergeblich versuchte James, seinem Vater zu entkommen, während dieser immer wieder auf ihn einschlug, aber er wurde erst erlöst, als von der Tür her jemand sagte: »Bin ich hier richtig bei der Familie Hargrave?«
    James hob den schmerzenden Kopf und sah durch Tränen den Arzt, Dr. Stone, im Flur stehen.
    {20} »Wir brauchen keinen Arzt, Sir«, erklärte Samuel kurz.
    Die scharfen Augen hinter den Brillengläsern blitzten, als Dr. Stone den Blick auf James’ blutendes Ohr richtete. »Mir scheint, ich bin genau im rechten Moment gekommen.«
    Samuel sah zu seinem Sohn hinunter und schien einen Moment lang verwirrt. Dann ließ er den Jungen los, der augenblicklich unter den Tisch kroch, und richtete sich kerzengerade auf.
    »Das ist Frauensache, Sir. Ich dulde keinen Mann am Wochenbett.«
    Ohne auf eine Aufforderung zu warten, trat Dr. Stone in den Wohnraum. Er war ein kleiner, drahtiger Mann von gut sechzig Jahren, mit einer langen, scharfen Nase und einem buschigen Schnauzbart. Er schlug seinen Zylinder gegen seinen Oberschenkel, um die Feuchtigkeit abzuklopfen und sagte: »Der Junge hat mir gesagt, das Kind hätte Steißlage und Mrs. Cadwallader könne nichts tun.«
    Die Hebamme, die James’ Geschrei gehört hatte, stand bereits am Fuß der Treppe.
    »Gut, daß Sie gekommen sind, Dr. Stone«, sagte sie. »Sie liegt jetzt schon seit fast vierundzwanzig Stunden in den Wehen, und es ist ihr drittes Kind. Das ist nicht normal. Es ist eine Steißlage, und außerdem hat das Kind die Nabelschnur um den Hals. Ich kann’s nicht drehen, weil die arme Frau sich sofort verkrampft, wenn ich zupacken will.«
    Der Arzt nickte. »Ich will sehen, was ich tun kann.«
    »Einen Augenblick, Sir«, rief Samuel. »Ich möchte nicht, daß Sie meine Frau behandeln.«
    »Dann stirbt sie«, sagte die Hebamme.
    Die Stimme des Arztes war freundlich. »Ich habe schon vielen Kindern auf die Welt geholfen, Mr. Hargrave. Ich respektiere Ihre Empfindungen, aber –«
    »Wir bauen auf den Herrn. Er wird uns helfen.«
    »Ich diene dem Herrn, Mr. Hargrave. Hat nicht Jesus die Kranken und Siechen geheilt?«
    Samuels Gesicht nahm einen gehetzten Ausdruck an. Das Wimmern und Schreien seiner Frau zerriß ihm fast das Herz.
    »Vielleicht«, sagte der Arzt tröstend, »sind Ihre Gebete durch mich erhört worden. Vielleicht hat der Herr mich zu Ihnen gesandt. Lassen Sie mich wenigstens nach Ihrer Frau sehen.«
    Samuel holte zitternd Atem. »Also gut«, sagte er widerstrebend. »Mrs. Cadwallader, bitte sehen Sie zu –«
    »Aber ja, Mr. Hargrave. Ich bleibe bei Ihrer Frau, keine Sorge.«
    Dr. Stone legte Samuel die Hand auf die Schulter. »Es wird schon gutge {21} hen, glauben Sie mir. Heute, wo wir das neue Betäubungsmittel haben, geht es immer gut.« Er wandte sich der Hebamme zu. »Also, Mrs. Cadwallader, gehen wir hinauf.«
    Samuels Gesicht verdunkelte sich. »Was sagten Sie da? Ein neues Betäubungsmittel?«
    Dr. Stone hob sein schwarzes Lederköfferchen hoch. »Ich gehe mit der Zeit, Mr. Hargrave. Ich verwende Chloroform. Das wird Ihrer Frau allen Schmerz ersparen.«
    »Was!« Samuel trat einen Schritt zurück.
    Der Arzt erschrak. Er hatte nicht geglaubt, daß es noch Leute dieses Schlags gab, seit selbst die Königin sieben Jahre zuvor bei der Geburt ihres Sohnes sich hatte Chloroform geben lassen.
    »Sie brauchen nichts zu fürchten, Mr. Hargrave. Ich gebe das Chloroform, Ihre Frau wird einschlafen und sich entspannen, und dann kann ich das Kind ohne Mühe drehen. So wird das heute überall gemacht.«
    »Aber nicht bei meiner Frau!«
    »Es ist die einzige Möglichkeit, Mr. Hargrave. Sonst verlieren Sie beide, Ihre Frau und Ihr Kind.«
    Samuels Stimme zitterte. »Der

Weitere Kostenlose Bücher