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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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die etwas zu sein behaupten, das sie in Wirklichkeit nicht sind. Mr. Cromwell hat behauptet, ich wolle Sie Ihrer Rechte berauben. Ich möchte Ihnen zu Ihrem Recht
verhelfen
! Zu dem Recht, darüber aufgeklärt zu werden, was die Arzneien enthalten, die Sie für teures Geld kaufen.«
    Ihre Stimme schwoll an. Sie begann zu zittern. Als der Saal sich verdunkelte, glaubte sie, es sei eine Stromstörung. Dann erkannte sie, daß mit den Lichtern alles in Ordnung war; ich werde gleich ohnmächtig, dachte sie.
    Sie stand auf und hielt sich am Tisch des Richters fest. »Dieser menschenfeindlichen Ausbeutung muß ein Ende gesetzt werden«, rief sie laut und klar. »Und wenn Sie es schon nicht für sich selbst tun wollen, dann tun Sie es für Ihre Frauen und Kinder. Tun Sie es für den kleinen Willie Jenkins, der in meinen Armen starb, nachdem er Hustenbonbons gegessen hatte, die er im Drugstore an der Ecke gekauft hatte. Tun Sie es für eine kleine Wäscherin namens Nellie, die mit dem Arm in die Mangel kam, nachdem sie eine so stark mit Betäubungsmitteln versetzte Arznei eingenommen hatte, daß ihre Sinne verwirrt waren –«
    Samantha konnte einen Moment nicht weiter. Tränen brannten ihr in den Augen. Fast flüsternd sagte sie: »Tun Sie es für die unschuldigen kleinen Kinder, die im Schlaf sterben, weil Milikins Schlafsirup genug Opium enthält, um einen erwachsenen Mann zu betäuben. Und tun Sie es für die bedauernswerten Mütter dieser Kinder, die ihr Leben lang mit dem Wissen leben müssen, daß sie unwissentlich zu Mörderinnen an ihren eigenen Kindern geworden sind …«
    Samantha schwankte. Im Saal brach das Chaos aus. Während sie verschwommen sah, wie die Reporter aufsprangen und aus dem Saal stürzten, während sie die Beifallsrufe der Leute wahrnahm, dachte sie: Aber ich bin ja noch gar nicht fertig.
    Der Boden unter ihren Füßen schien sich plötzlich zu öffnen wie eine Falltür, und sie stürzte in kalte schwarze Tiefen. Aber Mark fing sie noch rechtzeitig auf, und das letzte, was sie sah, ehe sie das Bewußtsein verlor, waren seine warmen braunen Augen, die voll Liebe und Fürsorge waren.

{422} 15
    Sie trieb auf Wolken dahin. Der Himmel war rot. Ihr Körper war leicht wie eine Feder. Dann überkam sie entsetzliche Übelkeit, und sie fürchtete, sie würde sich im Zeugenstand übergeben. Aber sogleich erkannte sie, daß sie nicht im Zeugenstand saß, sondern in der obersten Reihe der Anatomie im North London Hospital. Mr. Bomsie hatte das Skalpell zwischen die Zähne geklemmt, und seine Schürze war blutverkrustet. Er wollte einer jungen Frau die Brust abnehmen, und Samantha wollte ihm zurufen, daß er vergessen hatte, seine Instrumente zu sterilisieren und die Patientin zu betäuben. Und Freddy, der neben ihr saß, erklärte ihr, Mr. Bomsie wüßte es nicht besser, sie solle sich also nicht aufregen.
    Dann zitterte sie vor Kälte, sie rutschte und stolperte über splitterndes Eis und griff in strudelndes schwarzes Wasser, um das rote Haar zu greifen, das gleich unter der Oberfläche war.
    Sie drehte den Kopf zur Seite, hob die schweren Lider und sah schwarzes Wasser an den Fensterscheiben herunterströmen. Die Bucht läuft über, dachte sie. Wir werden alle ertrinken.
    »Wie fühlst du dich?«
    Samantha blinzelte und erkannte Mark. »Was ist passiert?«
    »Du bist ohnmächtig geworden. Wie fühlst du dich jetzt?«
    Sie drehte den Kopf und stöhnte.
    »Du hast dir den Kopf angeschlagen, ehe ich dich auffangen konnte. Lieg still, Sam. Es eilt nicht. Das Gericht hat sich vertagt.«
    Sie sah sich im Zimmer um. Es war Richter Venables Amtszimmer. »Wie lange bin ich schon hier?«
    »Nur ein paar Minuten. Sobald es geht, bringe ich dich nach Hause.« Mark hielt ihr ein Glas Brandy an die Lippen, aber sie wollte nichts. »Woher kam diese Ohnmacht, Sam?«
    Sie hatte Mühe, sein Gesicht im Blick zu behalten. Als sie seine tiefe Besorgnis sah, lächelte sie. »Der Arzt erfährt es als letzter. Wie dumm von mir, Mark. Ich war vom Prozeß so sehr in Anspruch genommen, daß ich die Anzeichen überhaupt nicht beachtet habe.«
    »Was für Anzeichen?«
    »Die Anzeichen der Schwangerschaft.«
    »Der Schwangerschaft? Oh, Sam! Ist es wirklich wahr?«
    Ihr Lächeln vertiefte sich. »Ich bin doch noch unter Eid, oder?«
    Mark nahm sie in die Arme.
    Richter Venables steckte den Kopf zur Tür herein. »Wie geht es ihr?«
    {423} Samanthas Patientinnen wurden gerufen, und Cromwell schaffte es, wie erwartet, ihre Aussagen in

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