Sturmjahre
{25} und Begierde nachgegeben. Als Junge hatte ihm sein erster und einziger Versuch der Selbstbefriedigung eine äußerst schmerzhafte Tracht Prügel von seinem Vater eingetragen. Als Halbwüchsiger und junger Angestellter auf dem Standesamt hatte er unwillkürlichem Erguß während der Nacht vorgebeugt, indem er allabendlich seinen Penis abgebunden hatte; wenn sein lüsternes Fleisch ihn dann des Nachts verraten wollte, weckte ihn der Schmerz der eng gebundenen Schnur, die in sein Glied einschnitt, und er konnte sich mit kalten Güssen ernüchtern.
Die Hochzeitsnacht mit Felicity hatte ihm höchstes Maß an Selbstkontrolle abverlangt, doch er hatte auch diese Prüfung bestanden. Er hatte seinen ehelichen Pflichten schnell und automatisch Genüge geleistet. Nicht einen einzigen Moment lang hatte er die Freuden des Fleisches genossen, Freude allein in dem Wissen gefunden, daß durch diesen Akt ein neuer Mensch geschaffen wurde, dem Herrn zu dienen. Felicity, die Fügsame, war ihm – Gott sei gelobt – niemals Versuchung gewesen. Nur zweimal hatten sie den Akt vollzogen, und beidemale war sie danach guter Hoffnung gewesen. So einfach erschien Samuel die Enthaltsamkeit, daß er die fleischlichen Begierden anderer nicht verstehen und nicht tolerieren konnte.
Doch nach neun Jahren gottesfürchtigen und keuschen ehelichen Lebens war die Katastrophe hereingebrochen.
Felicity veränderte sich besorgniserregend. Sie wurde teilnahmslos, entwickelte einen Hang, vor sich hin zu träumen, vernachlässigte ihre Pflichten. Nachts warf sie sich rastlos im Bett hin und her und weckte Samuel mehr als einmal mit ihrem Seufzen und Stöhnen. Nach einer Weile entschloß er sich, die Kosten auf sich zu nehmen und einen Arzt zu konsultieren. Der Spezialist in der Harley Street jedoch schüttelte nur ratlos den Kopf, unfähig, für Felicitys Mattigkeit eine Erklärung zu finden.
Wenig später riß ihn eines Nachts unerklärliche Erregung aus dem Schlaf. Als er die Augen öffnete, sah er über sich das wie trunken lächelnde Gesicht Felicitys. Ihr Atem roch nach Laudanum. Er wollte etwas sagen, doch sie legte ihm die Fingerspitzen auf die Lippen, während sie mit der anderen Hand seine nackte Brust streichelte. Samuel wehrte sich gegen die Versuchung, schüttelte Felicity, um sie wieder zu Verstand zu bringen, doch die berauschende Kraft des Opiumtrunks hatte von ihr Besitz ergriffen, und der betörende Anblick ihres weißen Busens, auf den dunkel die schwarzen Locken herabfielen, raubte ihm die Sinne.
An das, was dann geschah, erinnerte sich Samuel nur bruchstückhaft: die Feuchtigkeit ihrer weichen Lippen, der süße Geschmack ihres Mundes, {26} die Hitze ihres anschmiegsamen Körpers, die erregenden Berührungen ihrer Hände, dann ein schwarzer Strudel der Leidenschaft und der Ekstase.
Am nächsten Morgen war Felicity wieder die, die er neun Jahre gekannt hatte. Es war, als sei der Teufel ausgetrieben worden. Ruhig und zufrieden ging sie ihrer täglichen Arbeit nach, widmete sich geduldig ihren beiden kleinen Söhnen, saß am Abend züchtig mit ihrem Gebetbuch am Kamin. Doch Samuel hatte sich verändert. Entsetzt über seine Schwachheit, sich mit dem unglückseligen Adam vergleichend, der unwillentlich von Eva zur Sünde verführt worden war, suchte er Rettung in der Hingabe an seinen Glauben. Jeden Abend ging er zu den Versammlungen, hielt häufig auch Predigten. Er begann, Traktate zu schreiben und verteilte sie unter die Armen: Abhandlungen über die Übel des Alkohols, des Glücksspiels und der Fleischeslust. Er wurde seinen Söhnen gegenüber unerbittlich streng in dem Bemühen, sie gegen alle teuflische Versuchung zu stählen. Als Felicity ihm einige Wochen nach jener gottlosen Nacht eröffnete, daß sie guter Hoffnung sei, war Samuel bis ins Innerste entsetzt.
Jetzt also strafte ihn der Herr. Es hätte eine leichte Geburt werden müssen; nach dem ersten Kind waren weitere Geburten im allgemeinen kaum mehr als eine Unbequemlichkeit. Dieser Alptraum ließ sich nur mit der rächenden Hand Gottes erklären. In jener Nacht vor neun Monaten hatte der Herr seinen Diener Samuel Hargrave einer Prüfung unterzogen, an der dieser jämmerlich gescheitert war. Nun folgte die Strafe.
Schwerfällig und mit unendlicher Mühe richtete sich Samuel vom Tisch auf und rieb sich das tränennasse Gesicht. Und da wurde ihm plötzlich bewußt, daß es im Haus völlig still geworden war.
Mit ungläubigem Staunen hatte die Hebamme Neville
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