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Sturmkaempfer

Sturmkaempfer

Titel: Sturmkaempfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Lloyd
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hockte er sich neben ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter, um ihn zu stützen und vielleicht zu beruhigen. Bevor ihm etwas einfiel, das er sagen könnte, stieß Mihn einige Worte aus: »Bitte schickt mich nicht weg. Ich habe nichts … ich bin nichts mehr. Mein Leben war …« Er verfiel in Worte, die Isak nicht kannte – vielleicht war dies Mihns eigene Sprache.
    Endlich verstand Isak. »Du bist ein Harlekin?« Das konnte er kaum glauben. Niemand wusste viel über die Harlekine, nicht einmal, woher sie kamen, und schon gar nicht, wie sie sich jede Geschichte und jedes Lied merken konnten, das sie jemals gehört hatten. Die geschlechtslosen Geschichtenerzähler, die ein Paar schlanker Schwerter, Kleidung mit Rautenmuster und weiße Masken trugen, waren selbst ebenso fantastisch wie die Geschichten, die sie erzählten.
    »Ich bin ein Nichts«, wiederholte Mihn wie in Trance. Er blickte zum ersten Mal zu Isak auf und wurde etwas ruhiger. »Ich bin ein Versager. Alle legten so große Hoffnung in mich. Alle Älteren sagten, ich würde der Beste werden, den es jemals gab. Ich habe die Lehrer bereits in meinem achtzehnten Sommer mit der Klinge übertroffen.«

    »Was geschah dann?«
    »Ich habe die letzte Prüfung nicht geschafft. Wir waren nur zu dritt. Es wird immer davon ausgegangen, dass jeder, dem erlaubt wird, diese Prüfung abzulegen, sie auch sicher besteht. Aber ich habe versagt.«
    »Wie?«
    »Die letzte Prüfung besteht darin, eines der Epen vollständig aufzusagen. Eines, das einen ganzen Tag in Anspruch nimmt. Aber ich … ich konnte mich nicht an mein Epos erinnern, an kein einziges Wort, an keinen Namen, keinen Ort. Ich hatte mich mein ganzes Leben darauf vorbereitet, habe jede Sprache des Landes gelernt, alle Dialekte und Akzente und Eigenarten, habe die Geschichten wiederholt, die uns von den Göttern geschenkt wurden, habe jeden Teil eines jeden Schauspiels geübt, die Stimmen der Tiere und alle Tonarten von Mann und Frau. Aber bei der Prüfung konnte ich mich nicht einmal an ein einziges Wort meiner Lieblingsgeschichte erinnern, die ich doch schon seit meinem zehnten Sommer auswendig kannte.«
    Mihn lehnte sich vor und legte die Brust auf die Oberschenkel. »Man stieß mich aus. Die Maske, die ich anlegen sollte, wurde verbrannt, meine Klingen zerbrochen. Ich schwor, niemals wieder eine Klingenwaffe zu führen, als Buße dafür, dass ich diejenigen enttäuschte, die mich ausgebildet hatten und auf mich hofften.«
    »Eine Geschichte? Eine vergessene Geschichte – und dein Leben ist vorbei?«
    Mihn lachte bitte auf: »Ein Harlekin, der sich nicht erinnern kann? Die Götter selbst schrieben unsere Gesetze in Stein, eingraviert in die Wand unseres heiligsten Ortes. Ein Harlekin ist ein Abgesandter der Götter. Ist er nicht in Wort und Gedanken vollkommen, so ist er – Blasphemie.«
    Isak hob den am Boden Zerstörten an den Schultern auf die Beine. Als Mihns Körper erzitterte, erkannte er: es war gut, dass
Mihn mit ihm gekommen war. Er war Bahl zu ähnlich. Ließe man ihn allein, so würde er zu einem Schatten werden, der wie ein ruheloses Phantom durch die Gänge des Palastes streifte. Mihns Gesicht zeigte völlige Hoffnungslosigkeit. Er suchte nach etwas, das seinem Leben wieder einen Sinn gab.
    »Ein Augenblick des Schmerzes kann dich beherrschen, aber so muss es nicht sein. Lord Bahl hat dem Tod seiner Liebe so lange nachgetrauert, dass dies zu seinem Leben geworden ist und sogar sein Tod sein könnte«, sagte Isak. »Hör mir zu. Ein Harlekin mag zwar wunderbar sein, vielleicht auch gesegnet … aber du kannst doch noch mehr sein als dies.«
    Mihn sah seinen Lord verwundert an, den Mund halb zu einer Antwort geöffnet, da sprach Isak weiter: »Denk darüber nach. Was tun Harlekine? Sie lehren uns, wo wir herkommen, und hoffen , dass wir die Warnungen der Vergangenheit beachten. Sie haben viele Talente, aber sie nutzen sie kaum. Sie besitzen so viel Wissen, aber wann nutzen sie es einmal zum Guten – und für jemanden, sich selbst eingeschlossen? Du hast all diese Fähigkeiten und eine weitere – du trägst keine Maske.«
    »Ich verstehe nicht«, murmelte Mihn.
    »Die Masken der Harlekine verbergen sie vor dem Land. Im Gegensatz zu einem Harlekin kann ich mich nicht für immer hinter einer Maske verstecken. Ich muss ein Teil des Landes werden  – es liegt an mir, ob mein Einfluss zum Guten oder zum Bösen gereicht. Du kannst vielleicht keine Geschichten erzählen, aber du kannst

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