Sturmkaempfer
Selbstgefühl die oberste Sorge. Einst hatten sie ein Gesicht, einen Namen, eine Erinnerung gehabt, es half ihnen dabei, das Land wieder wahrzunehmen. Bevor nicht ein Eigenbewusstsein entwickelt werden konnte, bedeuteten Wünsche und Gefühle gar nichts, weil sie keinen Bezug hatten. Als sich der Schatten vergebens wehrte, fühlte Isak einen Augenblick lang Mitleid. Hinter seinem Bedürfnis nach der Wärme und Stärke von Isaks Körper lag keine Boshaftigkeit, sondern nur eine Verzweiflung, die Isak sehr traurig fand. Nachdem Isak das Gespenst eine Weile gehalten hatte, entschied er, dass er genug verstanden hatte, und schickte es zurück zu Morghien. Während
er das tat und es sich gegen seinen Griff wehrte, schickte er ihm einen Gedanken, beinahe eine Entschuldigung: Lass los. Das Leben ist für die Lebendigen bestimmt.
Als die Nebelgestalt verging, sprang Dunkelheit Isak an – aus dem Nichts – und umschloss seinen Geist. Ein stechender Schmerz schoss durch seinen Kopf und der eindringende Geist packte ihn mit einem betäubenden Griff und nährte sich gierig an seiner Kehle. Dies war kein halbvergessener Aspekt. Isak fühlte sich, als sei er in einen eisigen Strom gefallen. Bei jeder Bewegung wurde die Stärke weiter aus ihm gesogen. Die Kälte glitt unablässig über seine Haut, stahl ihr die Wärme, saugte das Leben aus ihm heraus.
Als ihm jeder Atemzug schwerer fiel, geriet Isak langsam in Panik, während sein Körper zu einer stumpfen Erinnerung wurde. Bilder von hungrigen Augen und langen, dünnen Fängen blitzten vor seinen Augen auf. Er spürte, wie die Finntrail durch seine Begierde, seine Wut und seinen Verlust stärker wurde. Er hatte Angst davor, so ausgehöhlt zu enden.
Dann erinnerte er sich an Morghiens Worte: Diese Kreaturen waren ausgehöhlt. Sie zogen ihre Stärke zum Teil aus dem, was man ihnen gab. Dies unterdrückte die Angst, die seinen Geist vernebelte. Er sah erneut auf den Geist, der sich nährte, und erkannte, dass er körperlos war. Er entdeckte die neblige Gestalt und wie leicht er sich hindurchdrücken konnte.
Das taube Gefühl verging, als Isak seine Gedanken ausstreckte und dabei die verzweifelte, aber federleichte Vergeltung – ausließ. Er umfasste den Geist und drückte die dunklen Fäden eng zusammen. Die Finntrail wehrte sich zwar und wütete, doch sie war körperlos. Mit einem wütenden Schrei wurde der Schatten hinaus und zurück auf Morghien zu geschleudert. Und der Reisende zog seine Hand mit müdem Lächeln zurück.
Der Krann blickte Morghien nicht in die Augen. Er wandte
sich seinen Begleitern zu und sah Mihn, Carel und Tila, die ihn wie zuvor beobachteten. Es schien sich nichts verändert zu haben, aber Isak erschauderte leicht. Die Luft fühlte sich kälter an als zuvor, als wäre der Nachtfrost zurückgekehrt. Er stand auf und fing an, die zehn Meter zu Eolis zu überbrücken, um es zurückzuholen, aber dann blieb er plötzlich stehen. Er drehte sich herum, konnte aber keine Veränderung sehen. Dennoch fühlte es sich an, als hätte sich jemand zu ihnen gesellt. Jenseits des Weges lagen die Bäume still. Am Himmel über ihnen waren nur wenige Vögel zu sehen, die aber zu weit entfernt schienen, um sie genau zu erkennen. Und doch war Isak nervös. Er zog die Klinge aus dem Baum, steckte sie jedoch nicht wieder weg. Die anderen warfen ihm unruhige Blicke zu, Isak aber überging sie, froh über die Sicherheit, die ihm Eolis gab.
Ein ungehörtes Kichern kroch aus den tief hängenden Ästen einer Eibe. Die Vögel in der Nähe flogen erschrocken auf, als sie um sich Boshaftigkeit spürten. Nur der Wind hörte es und fegte den Vögeln nach, trieb tote Blätter und feuchte Erdklumpen vor sich her.
Das Leben soll für die Lebendigen bestimmt sein? Manchmal glaube ich, dass du solche Dinge nur sagst, um mir eine Freude zu machen. Ich frage mich, ob du dich wohl an diese Worte erinnern wirst?
25
Isak öffnete die Augen und sah sich erschrocken um. Das Letzte, woran er sich erinnerte, war, wie er mit den anderen zusammen um das Feuer saß, Tila im Windschatten seines Körpers zusammengerollt, mit einem Weinschlauch fest in seiner Hand. Jetzt aber war er hier – wo auch immer hier sein mochte. Der wolkenverhangene Himmel bewegte sich unsicher über eine weite Steppe hohen Grases. Noch vor einigen Augenblicken war er von Bäumen umgeben gewesen.
Die Schatten der Morgendämmerung lagen zwar auf dem Boden, aber Isak konnte die Sonne nirgendwo sehen. Er hätte nicht
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