Sturmkaempfer
deren Duft die Halle erfüllte.
Weit darüber, hoch oben in der Spitze des Turms von Semar, lief Lord Bahl in seinen Räumlichkeiten auf und ab, denn die für den Krann gedachten Geschenke riefen in die stille Nacht hinaus nach ihm. Sie nagten an seinen Gedanken, doch Bahl war ein disziplinierter Mann und kannte die verderbliche Natur der Magie gut. Er hatte nicht vor, sich von ihr beherrschen zu lassen, wie es mit Atro geschehen war, dem vorangegangenen Lord der Farlan.
Lord Atro hatte den Stamm vierhundert Jahre lang beherrscht, bevor Bahl ihn getötet hatte. Schon bevor er in den Palast kam, war Atro ein böser Mann gewesen. Mit seiner neuen Macht hatte er sich glorreich gefühlt und gemordet, gefoltert und geschändet, wie es ihm nur in den Sinn kam. Grabkammern zu plündern und Tempel zu entweihen hatte seine Sucht nach magischen Artefakten weiter angefacht, und je größer seine Liebe für sie geworden war, umso lauter hatten sie auch nach ihm gerufen. Als Bahl sein gefeiertes Duell mit Atro bestritten hatte, war der alte Lord kaum noch bei Verstand gewesen. Trotzdem hatte das Duell Bahl beinahe das Leben gekostet.
»Mein Lord, bitte beruhigt Euch. Der Junge ist dort unten, aber er kann warten. Ihr müsst Euch entspannen oder wir verlieren unseren neuen Krann binnen weniger Minuten.« Lesarl, Bahls Haushofmeister, stand am Tisch auf einer Seite des Raumes. Bahl gab nicht viel auf eine feine Einrichtung. Die Kammer, die kleinste und abgelegenste, in der obersten Spitze des Turmes, war in jeder Hinsicht wenig eindrucksvoll. Bahl gab sich mit den einfachsten Möbeln zufrieden: einem kleinen Eichentisch, einigen übervollen Bücherregalen und einem übermäßig großen Bett, das den Hauptteil des Raumes ausfüllte.
Dieser Raum stellte einen Ruheort für ihn dar, hier konnte er sich ebenso vom Leben zurückziehen wie von der Prunksucht der öffentlichen Räume des Palastes. Sonst hatte es nur einen Vorteil: Man besaß hier den besten Ausblick auf die Berge – an den Tagen, wenn der Nebel die Stadt einmal nicht einhüllte.
»Warum heute?« Er blickte den Haushofmeister an.
»Ich weiß es nicht. Um Euch zu prüfen?«
Dies brachte ihm nur ein Grunzen ein, aber mehr hatte Lesarl auch nicht erwartet. Er goss aus dem Krug auf dem Tisch ein Glas Wein ein und hielt es dem Lord hin, bis dieser seufzte und es annahm. In einer solchen Laune war Lord Bahl zu allem fähig. Sich ein Glas Wein durch die Kehle rinnen zu lassen, mochte tatsächlich hilfreich sein.
»Ich fragte mich schon, ob Ihr heute Nacht zurückkehren würdet. Ihr habt zuvor noch nie so viel Zeit im Wald verbracht.«
»Ich werde immer zurückkehren.«
»Ist es schlimmer geworden?«
»Es wird immer schlimmer.«
Lesarl wärmte sich die Hände am Feuer und sah zum einzigen Gemälde im Zimmer auf. Das wirklich Bemerkenswerte an diesem Bild war nicht die kunstvolle Fülle der Einzelheiten oder die unbestreitbare Schönheit der Frau, die neben einem Fluss lag, sondern das zufriedene Lächeln auf ihren Lippen, denn es waren die Lippen eines Weißauges. Lesarl hatte noch nie – den Göttern sei Dank – ein weibliches Weißauge getroffen, aber es war bekannt, dass sie genauso selbstsüchtig und angriffslustig wie ihre männlichen Gegenstücke waren. Den Weißaugen lag die Gewalt von Geburt an im Blut, und ganz gleich wie lieblich und aufrichtig sie auf dem Bild auch wirkte, diese Frau musste eine wirkliche Gefahr gewesen sein, wenn man sie verärgerte.
»Lesarl, hör auf zu starren. Es steht dir nicht zu, mich an die Vergangenheit zu erinnern«, grollte Bahl und umfasste den Ring,
der an einer feinen Kette um seinen Hals hing. Ineh, die Frau auf dem Bild, trug darauf eben diesen Ring. Das Bild und der Ring waren die einzigen Dinge, die Bahl zurückbehalten hatte.
»Es tut mir leid, mein Lord«, sagte der Haushofmeister und wandte sich wieder Bahl zu. »Ihr Gesicht lenkt mich stets ab. Ich könnte schwören, diese Augen folgen mir jeden Gang hinab, wie die einer Amme.«
»Eine Amme? Sie hätte ihren eigenen Kindern eine Mutter sein sollen.«
Für einen Augenblick vergaß Bahl den Jungen und die Gaben der Götter unter sich und versank zurück in glücklichere Zeiten. Aber der Ruf der Gegenwart – oder vielleicht der Zukunft – zog seine Aufmerksamkeit wieder auf Lesarl. »Also, wirst du mir sagen, was du mit Lord Illit dort unten hingebracht hast? Ich kann etwas Ungewöhnliches spüren, etwas, mit dem ich nicht vertraut bin. Dort ist …«
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