Sturmkönige 02 - Wunschkrieg
beeinflussen nichts und niemanden, nicht einmal unser eigenes Schicksal. Alles und jeder folgt fremden Gesetzen, die wir nicht verstehen können – du nicht und ich nicht und auch nicht diese Nomadentölpel, die meinen, es sei ein großes Abenteuer, ein Sturmkönig zu sein.«
Jetzt, da er allmählich begann, sie zu verstehen, fragte er sich, ob all das schon immer in ihr gesteckt hatte, auch damals. In Samarkand, als sie kaum mehr als Kinder gewesen waren, da hatte er für sie geschwärmt und ihre Träume von Ausbruch und Rebellion ignoriert, weil er nichts davon wirklich begriffen hatte. Heute aber musste er sich eingestehen, dass es gerade ihre halsstarrige Überzeugung war, die eine erschreckende Anziehung auf ihn ausübte.
»Ich werde nicht gehen«, sagte er nach einem Moment.
»Dann wirst du sterben wie wir alle.«
»Du bist keine Prophetin.« Er zwang sich zu einem Lächeln. »Du hast es doch selbst gesagt: Jeder folgt fremden Gesetzen, und nichts geschieht, weil wir es so wollen.«
Sie stand da und starrte ihn an. Sandkristalle glitzerten in ihrem struppigen Haar, und als sie die Hände zu Fäusten ballte, spannten sich die verschlungenen Muster auf ihren Handrücken. Sie schien etwas sagen zu wollen, heftiger und unbeherrschter, als es ihre Art war – früher ihre Art gewesen war –, aber da trat jemand neben sie, wie aus dem Nichts, als wäre er im selben Moment aus dem Sand gewachsen.
Ein kleiner Junge, sehr zart und zerbrechlich. Im Gegensatz zu den gebräunten, wüstengegerbten Sturmkönigen war seine Haut fast weiß, ohne jede Spur einer Verbrennung, als könne ihm die Sonnenglut nichts anhaben. Auf seinem Körper wuchs kein einziges Haar.
»Lass ihn«, sagte der Junge zu Maryam, ganz ruhig und mit einem Unterton erschütternder Weisheit in der Kinderstimme.
»Er ist ein Narr«, erwiderte sie schroff.
»Vielleicht. Aber irgendwann wird er ein Teil der Lösung sein.«
Jibril
»Ich bin Jibril«, sagte der Junge. Junis schätzte ihn auf zwölf, nicht älter. Schmächtig, fast ein wenig kränklich. Mit geröteten Augen, vielleicht vom allgegenwärtigen Staub. Oder einer Krankheit. »Du musst Junis sein.«
Junis nickte kurz, für einen Moment überrumpelt. Dann schaute er wieder Maryam an, in der Hoffnung, sie würde die Erklärung liefern, die das Kind ihm schuldig blieb. Er konnte ihr ansehen, dass sie ihren Ärger unterdrückte, vielleicht auch Hilflosigkeit.
»Warum bist du so wütend auf ihn?«, fragte Jibril sie.
Junis kam Maryam zuvor. »Sie ist es nicht gewohnt, dass jemand ihre Befehle ignoriert.«
Der Junge lachte leise, was ihn sehr viel älter erscheinen ließ.
»Junis wird uns bald wieder verlassen«, sagte sie.
»Ach, Maryam«, seufzte Jibril, »die Dschinne machen dir keine Angst, aber vor deiner Vergangenheit kannst du gar nicht schnell genug davonlaufen. Ist das nicht erstaunlich?«
Weshalb redete ein Zwölfjähriger so mit ihr? Junis sah von einem zum anderen, wartete darauf, dass sie den Jungen zurechtwies. Stattdessen atmete sie tief durch – und wurde fürs Erste von der Notwendigkeit einer Erwiderung befreit, als aus der Grube ein gellendes Kreischen ertönte.
Die Menge jubelte über die Niederlage eines Dschinnkriegers. Wetten waren gewonnen worden, und Junis fragte sich beiläufig, um welche Einsätze es dabei gehen mochte. Geld hatte hier draußen schon vor dem Dschinnkrieg keinen Wert gehabt.
»Ist das wirklich nötig?«, fragte Jibril.
»Irgendwas müssen wir ihnen bieten, um sie bei Laune zu halten«, sagte Maryam. »Es wird nicht mehr lange dauern, bis die Dschinne uns angreifen. Bis dahin kann es nicht schaden, das Blut der Männer am Kochen zu halten.«
»Diese Duelle sind barbarisch.«
»Es sind nur Dschinne«, erwiederte sie schulterzuckend.
Der Junge blickte noch einen Moment länger zu dem aufgebrachten Pulk hinüber, dann wandte er sich wieder an Junis. »Du willst dich uns anschließen?«
Junis hielt Maryams wütendem Blick stand, als er antwortete: »Ich will lernen, auf den Stürmen zu reiten wie ihr.«
»Du kannst mit fliegenden Teppichen umgehen?«, fragte Jibril.
Junis nickte.
Maryam winkte ab. »Im Herzen eines Wirbelsturms zu reiten ist etwas vollkommen anderes.«
»Davon bin ich überzeugt.«
»Was willst du hier?«, fragte sie scharf. »Ich weiß, du hast es dir nicht ausgesucht – aber warum verschwindest du nicht, wenn man dir die Möglichkeit bietet?«
»Selbst wenn ich es allein bis nach Samarkand schaffen könnte
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