Sturmkönige 02 - Wunschkrieg
Glücksgefühlen festhielten. Das Leid hatte die Leere in ihm mit Bedeutung erfüllt, mit der hämischen Lockung unerreichbarer Ziele. Aber nun war diese Leere fort. Er hatte die Vergangenheit losgelassen, ohne es zu bemerken. Die ganze Zeit über war Sabatea bei ihm gewesen, die Wärme, die das Wissen um ihre Gefühle in ihm hervorrief, auch die Verzweiflung, die Angst, sie zu verlieren. All das war sie, war Sabatea.
Sie umfing ihn mit ihren Beinen, fast ohne einen Laut, nur ihr Atem wurde schneller. Worte küssten sie einander von den Lippen, Gedanken teilten sie stumm in der Finsternis.
Als sie wieder voneinander abließen, widerwillig und verschwitzt, fühlten sie sich glücklich und bekümmert zugleich. Sie streiften ihre Sachen über, fanden den Weg zum Eingang der Palastkeller und begannen ihren Aufstieg zu jenen, die ihren Tod wollten.
Menschen und Dschinne
Nirgends im Dschinnland hatte Junis etwas Vergleichbares gesehen. Nicht auf den versandeten Schlachtfeldern an der Alten Bastion, nicht in den Sklavenpferchen der Hängenden Städte.
Sechs Sturmkönige schauten stumm von einer Erhebung im Vorgebirge der Zagrosgipfel auf eine maßlose Spur der Zerstörung. Was sich unter ihnen ausbreitete war eine so hemmungslose Missachtung menschlichen Lebens, ein so grenzenloses Grauen, dass selbst der Älteste unter ihnen, Ali Saban, keine Worte fand. Dabei hatte er in den vergangenen Jahrzehnten jeden Schrecken erlebt, jede Form von Tod gesehen, in jeden Abgrund der Verkommenheit geblickt, den ihre Feinde vor ihnen aufgerissen hatten.
Das Heer der Dschinne war aus den Salzpfannen der Kavir nach Westen gezogen, hinauf in die Berge, die es auf seinem Weg nach Bagdad überqueren musste. Weiter nördlich lagen die Trümmer der alten Stadt Qom. Die Sturmkönige hatten angenommen, dass die Dschinne im Schatten der Ruinen lagern würden, um nach den Strapazen der Salzwüste das Überleben ihrer Menschensklaven zu sichern. Nun aber mussten Junis und die anderen erkennen, dass das Leben der Sklaven für die Dschinne ohne Bedeutung war. Sie geboten über so viele davon, Zigtausende womöglich, dass sie die Sterbenden und Schwachen auf ihrem Weg zurückließen wie ein Herbststurm das welke Laub der Bäume.
Ein Teppich aus Leichen erstreckte sich dort unten in beide Richtungen, östlich in die weiße Salzebene, weiter westlich hinauf in die Berge. Verrenkte, zertrampelte, in den Boden gestampfte Leiber bedeckten Sand und Gestein. Vogelschwärme und Rudel von Aasfressern hatten sich längst darüber hergemacht, wimmelten zwischen den Toten umher, pickten ausgedorrtes Fleisch von Gerippen, kämpften um die fettesten Beutestücke, suhlten sich in vertrockneten Überresten. Junis hatte immer angenommen, dass nur noch eine Handvoll Tiere hier draußen existierte. Jetzt aber kreisten zahllose Geier und Krähen am Himmel, schienen aus allen Richtungen herbeizuströmen, dankbar für die Nahrung, die ihnen die Dschinne zurückgelassen hatten, ein Almosen für jene, die selbst beinahe ausgerottet worden waren.
Hyänen und Wüstenfüchse hatten ihre Verstecke verlassen, sogar einige Adler entdeckte Junis. Er schämte sich dafür, dass ihn ihr Anblick einen Moment lang mit wilder Hoffnung erfüllte, trotz all der Leichen. Es gab also mehr Leben im Dschinnland, als alle geglaubt hatten, auch wenn tausendfacher Tod nötig gewesen war, um es aus seinen Bauen und Nestern zu locken.
»Sie können noch nicht weit gekommen sein«, brach Maryam das Schweigen.
»Was macht dich da so sicher?«, fragte der Mann neben ihr. Mukthir war noch jung, kaum älter als Junis, aber er war unter den Rebellen aufgewachsen und ritt die Stürme seit vielen Jahren. Wie sie alle war er dick vermummt in gesteppter Kleidung aus Leder und Wolle, mit schweren Stiefeln und einer Vielzahl aus Schals, die er sich um Kopf, Hals und Lenden gewickelt hatte. Eine Erkältung konnte in der Einöde tödlich sein, und die Rebellen hatten rasch lernen müssen, dass ein Ritt im Herz des Wirbelsturms schwere Unterkühlungen hervorrufen konnte.
Junis mochte Mukthir nicht. Insgeheim fragte er sich, ob seine Abneigung wohl damit zu tun hatte, dass Maryam Mukthir den Vorzug vor den meisten anderen Männern im Lager zu geben schien. Nicht, dass sie das offen zeigte. Es war vielmehr ein Gefühl, das Junis in Anwesenheit der beiden beschlich, als gäbe es da eine stumme Übereinkunft zwischen ihnen. Es kam ihm absurd vor, unter diesen Umständen auch nur eine Spur von
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