Sturmkönige 02 - Wunschkrieg
den Aufschlag. Sabatea lag am Boden und starrte hinter der Waffe her. Beide hielten den Atem an.
Aber die Klinge nahm schlingernd einen anderen Weg.
Sie traf nicht den Gong. Flog zu weit links. Und zu hoch.
Mit einem hässlichen Klirren krachte sie in den Spiegel über dem Portal.
Bebend und außer Atem stiegen sie über die Scherben und stießen das Doppeltor auf. Es war nicht verriegelt und schwang mit einem sanften Schleifen nach innen.
Sinnlos, die Toten verschwinden zu lassen. Zu viel Blut überall. Mit Glück würde noch etwas Zeit vergehen, ehe es irgendwen hierher verschlug. Khalis’ Gemächer lagen abseits der vielbegangenen Wege des Palastes, und er beschäftigte seine eigenen Wachen. Die Patrouillen der Palastgarde schauten wahrscheinlich nur selten vorbei. Falls keiner das Bersten des Spiegels oder die Schreie gehört hatte, blieb den beiden vielleicht eine Atempause, ehe jemand die Leichen entdecken würde.
Und wenn Khalis’ tatsächlich durch den Spiegel geblickt hatte? Dann wusste er längst, was geschehen war; dann war er sicher schon auf dem Weg hierher. Und mit ihm eine Heerschar Soldaten.
Aber es war zu spät, um zu fliehen. Beiden war klar, dass dies das Ende ihres Weges war. Er nahm sie mit der Linken bei der Hand, in der Rechten das Schwert. Gemeinsam traten sie durch das Portal in die dahinterliegenden Gemächer.
Hätte er sie in Sicherheit bringen können, so hätte er es ohne Zögern getan. Aber es gab keine Sicherheit mehr, nicht hier und nicht nach dem, was geschehen war.
Hinter dem spitzen Tor lag ein Korridor, nur ein paar Meter lang. Er endete vor einer weiteren Tür, unscheinbarer als die erste, ohne Verzierungen und Schriftzeichen. Tarik hatte düsteren, schwelgerischen Prunk erwartet, doch mit dem Portal ließen sie Pracht und Luxus hinter sich. Jenseits davon herrschte eine erschreckende Schlichtheit. Kahle Wände, keine Seidenbahnen, selbst der Marmor schien grauer als draußen im Saal.
Sie blieben vor dem zweiten Durchgang stehen und wechselten einen Blick. Sabatea nickte entschlossen. Tarik küsste sie.
Auf der gegenüberliegenden Seite fanden sie einen großen Raum mit hoher Decke, ganz ohne Zierrat, aber angefüllt mit Regalen und Tischen. Geöffnete Schriftrollen auf allen Ablagen. Tontafeln mit winzigen Zeichenreihen. Kerzenhalter und kupferne Öllampen. Der Geruch von kalt gewordenem Weihrauch.
Auf der anderen Seite des Saals stand ein Kristallzylinder. Mannshoch, bernsteinfarben und rund wie eine Säule, erhob er sich auf einem steinernen Sockel. Die Oberfläche war durchscheinend genug für das Licht mehrerer Öllampen, die auf hüfthohen Ständern rundum platziert worden waren. Aus der Ferne ließ sich nur erahnen, was sich im Innern befand.
Erst als sie näher herantraten, noch immer Hand in Hand und Tarik mit dem Schwert, das er nun achtlos über die Schulter gelegt hatte, verdichtete sich der Umriss im Zylinder zu einer menschlichen Gestalt.
Der Kristallbehälter war mit einer goldenen Flüssigkeit gefüllt, die im Lampenschein in zähen Schlieren erglühte. Darin schwebte aufrecht eine junge Frau mit dunklem Haar, noch ein Mädchen. Sie trug ein schlichtes weißes Kleid, das eng an ihrem Körper haftete. Es spannte kaum über den flachen Brüsten, während sich ihre Hüftknochen deutlich abzeichneten, als wäre sie unterernährt. Oder mumifiziert. Dagegen aber sprach die Vollkommenheit ihres Gesichts. Sie war nicht schön im herkömmlichen Sinne – dafür war ihr Mund zu schmal, das Kinn zu ausdrucksstark, die Augen zu weit auseinandergesetzt –, und doch besaßen diese Züge eine entrückte, friedvolle Ausstrahlung, die trotz allem lebendig wirkte.
Ihre Lider waren geschlossen, genau wie die Lippen, und ihre Finger weit abgespreizt. Tarik hatte einmal ein Amulett beim Spiel gegen einen Händler gewonnen – und tags darauf wieder verloren –, ein eingefasstes Stück Bernstein mit einem winzigen Insekt in der Mitte. Sehr wertvoll, hatte es damals geheißen, und er hatte es glauben wollen. Wie kostbar aber musste dann erst dieses leblose Mädchen sein, gefangen in einem Kerker aus flüssigem Gold?
»Honig«, raunte Sabatea tonlos. Pragmatisch wie sie war, hatte sie einen Finger ausgestreckt und den Zylinder berührt. Die Oberfläche war an einigen Stellen klebrig, als wäre beim Auffüllen der Flüssigkeit etwas davon an der Außenseite herabgelaufen. Kleine Insekten hafteten daran. Sabatea roch an ihrer Fingerkuppe, runzelte die Stirn,
Weitere Kostenlose Bücher