Sturmrappe — Der Außenseiter (German Edition)
keine Rolle. Der Stall geht fort, die Pferde gehen fort und Justin … Justin geht von ihm. Also wird Dan auch gehen. Er weiß nur noch nicht, wohin.
Kapitel 6
A M E NDE bleibt Dan bei Robyn. Das hatte er zwar nicht vorgehabt, doch sie hatte ihn beim Beladen seines Pick-ups überrascht und noch nicht einmal eine Erklärung verlangt, sondern nur gefragt, ob er zu Chris wolle, und als er das verneinte, fragte sie, wohin denn sonst. Als er sich zur Antwort nur von ihr abgewandt hatte, hatte sie ihm wortlos einen Schlüssel von ihrem Bund gegeben.
Dan erwacht lang genug aus seiner eigenen Welt, um sich klar zu machen, dass auch Robyn ziemlich bald sehr schlechte Nachrichten bekommen wird. Das mit ihrer Arbeit wird ein Schock für sie sein, doch die Sache mit Justin ebenfalls. Sie hatten alle jahrelang auf dem Hof zusammengearbeitet. Er beschließt, den Schlüssel zu nehmen, aber sich dort nicht allzusehr häuslich einzurichten. Wenn es dann so aussehen sollte, als bräuchte sie Zeit für sich, kann er immer noch gehen. Er fährt erst in Richtung Stadt, zu Robyns Wohnung, wendet dann aber kurz entschlossen und fährt auf den Highway. Die Fahrt nach Willowbrook vergeht zu schnell, und schon bald geht Dan die vertrauten Gänge entlang und steht wieder vor der gewohnten Tür. Er fragt sich, wie oft er diese Fahrt noch machen wird. Fragt sich, ob Justins Eltern ihre Meinung vielleicht ändern werden, wenn sie Justin einen qualvollen Tod sterben sehen müssen. Wie könnten Eltern so etwas tatenlos geschehen lassen?
Wie immer sammelt Dan sich kurz und öffnet dann die Tür. Er versucht noch nicht einmal zu lächeln. Es wäre unehrlich, so zu tun, als ginge es ihm gut.
„Hi, Baby, ich bin‘s.“ Dan holt sich den Stuhl, der an der Wand steht, und stellt ihn neben Justins Bett. Er beugt sich vor, so dass seine Unterarme auf dem Bett ruhen, und nimmt Justins Hand in die seine. Fast schon widerstrebend beginnt er zu sprechen: „Im Moment stehen die Dinge nicht so gut, Kumpel. Deine Eltern … ich meine … du weißt, dass sie dich lieben. Aber sie …“ Dans Stimme bricht.
„Justin, du musst jetzt wirklich aufwachen. Du musst ihnen zeigen, dass sie unrecht haben. Ich weiß, dass du etwas Zeit brauchtest, um gesund zu werden, ich verstehe das, und vielleicht hast du dich da drin einfach ein bisschen verloren oder so was.“ Dan legt eine Hand auf Justins Stirn und streicht ihm das Haar aus dem Gesicht. „Bitte, Justin. Baby … wir haben nicht mehr viel Zeit.“
Dan fühlt die Tränen über sein Gesicht fließen. „Justin, bitte.“ Er lehnt sich nach vorn und vergräbt sein Gesicht in Justins Brust. Seine Stimme wird durch die Laken gedämpft, doch er spricht trotzdem, als könnten die Worte durch Justins Haut direkt in sein Herz dringen. „Bitte verlass mich nicht, Justin. Bitte lass mich nicht allein.“
Dan weiß nicht, wie lange er dort so sitzt, doch als er sich schließlich aufrichtet, ist sein Gesicht zwar salzverklebt, aber trocken. Er atmet tief ein. An Justin ist keine Veränderung zu erkennen, aber er hatte auch nicht ernsthaft mit einer gerechnet. Auf der Verstandesebene weiß er, dass Justins Eltern recht haben: Justin ist von ihnen gegangen, und er wird nicht zurückkommen.
Doch gefühlsmäßig ist es etwas schwerer zu glauben, zu verstehen. Wo Justin einst war, da ist jetzt diese Leere in Dans Leben, und was soll er jetzt damit anfangen? Wie kann er sich von all ihren Plänen und gemeinsamen Erinnerungen verabschieden, wenn Justin doch direkt vor ihm liegt und noch nicht einmal so sehr viel anders aussieht als vor dem Unfall? Mit einem Schlag wird Dan klar, dass dies der Grund für Karls und Mollys Entscheidung gewesen sein könnte. Niemand kann loslassen, nicht wirklich, solange Justins Körper noch hier ist. Aber Dan glaubt nicht, dass er überhaupt schon zum Loslassen bereit ist. Er braucht Justin immer noch, braucht diesen winzigen Teil von sich selbst, der glaubt, dass alles wieder werden könnte, wie es war, wieder perfekt.
Dan erinnert sich an seine Begegnung mit Jeff, erinnert sich, wie dieser sagte, dass sie sich schon einmal beim Rolex getroffen hätten. Der Kalifornier schien Verständnis dafür zu haben, dass Dan sich daran nicht erinnern konnte. Dan weiß, dass er jenes ganze Wochenende lang wie im Traum verbracht hatte. Das Rolex Kentucky Three-Day Event ist das größte Turnier in Nordamerika, und Justin hatte auf einem Pferd, das Dan mit zugeritten und ausgebildet hatte, daran
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