Sturms Flug

klang. »Die Tatsache, dass wir seine Identität kennen, ist ein Schock für ihn. Er hielt sich für übermächtig, doch nun weiß er, dass er uns nicht auf der Nase herumtanzen kann. Wir sollten die Gelegenheit nutzen …«
    Da brauste ein Orkan auf.
    Es war eine Folge von Schüssen, die dicht aufeinander folgten, eine Salve, die den Lautsprecher zum Scheppern brachte und Lohmanns Trommelfell malträtierte. Erschrocken zuckte er zusammen.
    Er hatte noch nicht begriffen, was geschehen war, als das Stakkato verstummte und wieder Stille einsetzte, doch nur für die Dauer eines Augenblinzelns. Dann war ein vielstimmiger Schrei des Entsetzens zu hören. Ein Kind kreischte wie von Sinnen, irgendjemand schien sich lautstark zu übergeben, eine Frau rief immer wieder hysterisch aus: »Heilige Mutter Gottes, heilige Mutter Gottes, heilige …«
    Der Chor des Grauens wurde leiser, bis nur noch ein verängstigtes Murmeln übrig blieb.
    »Hier ist van der Merwe, der Pilot«, war auf einmal eine andere Stimme zu hören. Er bemühte sich um Fassung, scheiterte jedoch kläglich. »Allmächtiger, er hat es getan. Er hat es wahrhaftig getan. Hier ist überall Blut und … Ich flehe Sie an, geben Sie ihm, was er verlangt! Oder wollen Sie, dass er uns alle umbringt?«
    Die Miene des kleinen Mannes mit dem Trenchcoat und den vielen Falten im Gesicht war wie versteinert. Sein Adamsapfel schien zu hüpfen, als er einen unsichtbaren Kloß hinunterschluckte. Er hatte sich verspekuliert, hatte falschgelegen mit der Einschätzung, dass Asad bluffte, und er wusste es.
    »Was ist, Grillo? Immer noch nicht erpressbar?« Das war wieder Asad. Er war tatsächlich abgeschmackt genug, zu lachen. »Jetzt sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Du bist an allem schuld. Allerdings solltest du vor lauter Schuldgefühlen nicht meine Forderungen vergessen. Ich verlange, dass Omar freigelassen und hergebracht wird. Bis es so weit ist, gebe ich mich mit den Benzinkanistern zufrieden.«
    Lohmann sah, wie der kleine Mann, Grillo, erneut die Hand auf die Sprechmuschel legte. »Ich brauche eine Verbindung zum Staatssekretär«, wies er an. »Beeilung. Legen Sie das Gespräch auf den Apparat in dem Glaskasten!« Dabei deutete er mit dem Kinn zu einem Büro mit durchsichtigen Wänden. Dann nahm er die Hand von der Sprechmuschel. »Asad, hören Sie mich?«
    »Natürlich höre ich dich. Denkst du, ich bin plötzlich taub geworden?«
    »Gut.« Grillo zögerte eine Sekunde, bevor er fortfuhr. »Sie werden von mir keine Benzinkanister bekommen!«
    Gemurmel setzte in der Krisenzentrale ein, aufgeregtes Murren und Unmut. Die Blicke aller Anwesenden durchlöcherten Grillo, der Polizeipräsident schnappte nach Luft.
    Asad ebenfalls. Doch dann fing er sich wieder. »Wenn du es so haben willst, von mir aus. Ich habe gerade eine Geisel erschossen, und ich kann das noch über hundertfünfzig Mal tun. Bis zur nächsten Leiche bleiben dir diesmal allerdings nur noch fünf Minuten. Die Zeit läuft.«
    Es knackte im Lautsprecher, dann war die Leitung tot.
    Es war grauenhaft.
    Der leblose Körper hing in dem Sitz wie hingegossen, schlaff, kraftlos, mit ungelenk ausgestreckten Gliedern. Pulverschwaden schwängerten die Luft, weißer Nebel, der die Augen tränen ließ.
    Asad hatte das gesamte Magazin leer geschossen und danach seelenruhig ein neues in die Maschinenpistole eingeführt.
    Das Blut hatte seine Hose besudelt, war emporgespritzt bis zum Gürtel und noch weiter bis hinauf zum Kragen. Überall war Blut, auf den Sitzen, an den Wänden, auf dem Teppich, auf den Gesichtern und Kleidern der Geiseln in der ersten Reihe. Zwischen all dem Blut: Schaumstoffflocken, die einst das Polster des Sitzes gewesen waren. Und Patronenhülsen aus Messing.
    Die Augen des Leichnams waren weit aufgerissen, genauso wie seine Brust, die von vierzig Projektilen regelrecht zerfetzt worden war.
    Bernd hatte das Gefühl, jeden Moment den Verstand zu verlieren. Vor seinem geistigen Auge durchlebte er noch einmal die Sekunden, in denen Grietje, die sympathische Stewardess mit dem albernen Schiffchen auf dem Kopf, im Hagel der Geschosse gestorben war. Zuerst hatte es so ausgesehen, als wäre es ihr gelungen, sich zu erheben, als würde sie von ihrem Platz aufstehen und einfach weglaufen. Doch anstatt zu laufen, war sie geblieben, wo sie war. Ihr Körper hatte sich geschüttelt, heftig und immer wieder, als wäre elektrischer Strom hindurchgeleitet worden. Ihr Mund hatte sich weit geöffnet zu einem