Sturms Flug
dir?«
Er war spürbar verlegen, fast schon beschämt. Die Vertrautheit, die sie in Kenia so sehr genossen hatten, war restlos verschwunden.
»Wie soll es mir gehen?«, gab sie ausweichend zurück.
Dann herrschte einvernehmliches Schweigen, keiner wusste, was er sagen sollte.
Er räusperte sich. »Also … Weshalb ich anrufe … Wie gesagt, ich habe deinen Brief gelesen. Danke. Ich wollte …«
»Bernd«, unterbrach sie ihn.
»Ja?«
»Ich habe euch in der Flughafenhalle gesehen, dich und deine Freundin in Schwarz.« Das Wort Freundin klang eine Spur zu vorwurfsvoll.
»Oh. Also das war nicht geplant. Das hat sich so ergeben. Weißt du, sie hat mir vermutlich das Leben gerettet. Oder mich zumindest vor dem Rollstuhl bewahrt. Nur ihrem Eingreifen habe ich es zu verdanken, dass ich nicht aus dem Flugzeug gestoßen wurde, als die Gangway noch nicht angedockt war. Ich hätte mir den Hals gebrochen, hätte sie mich nicht festgehalten. Ich … das heißt wir …«
Sie fiel ihm ins Wort. »Du bist mir keine Erklärung schuldig. Lass gut sein. Manche Dinge passieren einfach, ohne dass wir sie beeinflussen können.« Das klang pragmatisch, obwohl ihr in Wirklichkeit nicht nach Pragmatismus zumute war.
Anschließend unterhielten sie sich noch ungefähr fünf Minuten über mehr oder weniger belanglose Dinge, dann hatten sie das Gespräch mit dem gegenseitigen Versprechen beendet, in Kontakt zu bleiben. Dass sie dies nicht tun würden, war ihnen bereits in diesem Augenblick klar gewesen, denn irgendwie war über Nacht aus einer großen Liebe eine peinliche Affäre geworden. Es stimmte: Manche Dinge passierten einfach, ohne dass man sie beeinflussen konnte.
Sie seufzte. »So, mein lieber Bodo, ich werde jetzt da hineingehen und mir von Herrn Doktor Niggemann den Laborbericht verkünden lassen. Du bleibst derweil hier und stellst keinen Unsinn an, hörst du? Und nicht wieder in die Polster beißen, ja?« Sie tätschelte ihm den Kopf und ließ ihre Rechte durch sein Fell gleiten.
Der Hund, Bodo II , war noch jung, kaum dem Welpenalter entwachsen. Am Sonntag hatte sie ihn aus dem Tierheim geholt, und seitdem war er ihr keine Sekunde von der Seite gewichen. Offenbar mochte er es nicht, allein zu sein. Genau wie sie.
»Nein, du brauchst gar nicht so zu gucken, das zieht nicht mehr, du bleibst hier! Und in meinem Bett wirst du auch nicht mehr schlafen. Das war eine Ausnahme.«
Geschwind schlüpfte sie aus dem Wagen und schlug die Autotür schnell wieder zu, ehe ihr neuer Freund folgen konnte. Ihr Herz galoppierte, der Kloß in ihrem Hals wurde von Sekunde zu Sekunde größer.
Dann ging sie auf den Eingang der Arztpraxis zu, wohl wissend, dass die nächsten Minuten über ihr gesamtes Leben oder vielmehr den Rest davon entscheiden würden. Denn eins war klar: Egal, wie das Ergebnis lautete, ihr Leben würde nicht mehr so sein wie vorher …
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