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Sturms Flug

Sturms Flug

Titel: Sturms Flug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Quandt
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Nein, dafür war sie nun doch wieder zu jung, trotz der grauen Strähnen.
    Als ob sie seine Gedanken gelesen hätte, stellte sie sich just in diesem Moment vor. »Mein Name ist von Kalck. Anne von Kalck. Ich bin Maras Freundin.«
    »Von Kalck«, sinnierte er laut. »Kann es sein, dass Sie für den Kurier arbeiten? Irgendwie bringe ich den Namen mit der Zeitung in Verbindung.«
    Anne von Kalck, die Chefredakteurin des Kurier , ließ die Frage unbeantwortet.
    Im Schein der Wohnzimmerbeleuchtung erkannte er, dass sie tatsächlich geweint hatte. Ihre Augen waren gerötet, und den Lidstrich hatte sie überhastet nachgezogen.
    »Bitte«, forderte sie ihn auf, »nehmen Sie Platz! Mara kommt sofort. Sie möchte sich nur kurz … frisch machen.«
    Er fühlte sich unbehaglich. Mit gekrauster Stirn blieb er unschlüssig mitten im Raum stehen. »Ich habe einen schlechten Zeitpunkt erwischt, nicht wahr? Soll ich ein anderes Mal wiederkommen? Morgen vielleicht? Oder nächste Woche?«
    »Unsinn, Sie bleiben! Ich bin froh, dass Sie endlich da sind. Mara sollte jetzt nicht allein sein. Leider kann ich mich heute Abend unmöglich um sie kümmern.« Sie zuckte mit den Schultern, als wäre damit alles erklärt.
    Er wurde zunehmend verwirrter. »Nicht allein sein?«, hakte er nach. »Was ist passiert?«
    »Ich denke, das sollte Mara Ihnen am besten selbst erzählen.« Sie deutete auf den Strauß in seiner Hand. »Gelbe Akazien, sehr schön. Ich frage mich, wo Sie die aufgetrieben haben, mitten im Winter. Wissen Sie, welche symbolische Bedeutung man der gelben Akazie zuschreibt?«
    Er räusperte sich und schüttelte vehement den Kopf.
    Natürlich wusste er um die Bedeutung dieser Blume, denn schließlich hatte er sie genau aus diesem Grund gekauft. Zuvor hatte er sich in der größten Gärtnerei der Stadt informiert, und das war ein Betrieb, der sogar mit exotischen Pflanzen handelte. Laut Seniorchef stand das Edelweiß für »Du bist wunderschön!« und wäre deshalb seine erste Wahl gewesen. Doch Paragraf 41 des Bundesnaturschutzgesetzes verbot den Verkauf von Edelweiß, sodass diese Pflanze nicht infrage kam. Rote Rosen schieden natürlich ebenfalls aus, zu offensichtlich, während Frau Sturms Lieblingsblume, die Chrysantheme, je nach Farbe verschiedene Bedeutungen hatte; beispielsweise stand gelb für Oberflächlichkeit und weiß für Aufrichtigkeit. Das war beides unpassend, also hatte er sich letzten Endes für die Akazie entschieden. Kein Mensch kannte deren Bedeutung.
    »Sie gilt als Symbol für heimliche Liebe«, offenbarte Frau von Kalck und bedachte ihn mit einem missbilligenden Blick.
    Er wurde puterrot im Gesicht. »Das wusste ich nicht«, log er.
    »Aha«, machte sie. Dann drehte sie sich abrupt um und verschwand in die Diele. »Ich werde mal schauen, was Mara macht«, sagte sie im Weggehen.
    »Na wunderbar«, murmelte er, als sie außer Hörweite war.
    Er fühlte sich vollkommen fehl am Platz. Irgendetwas war geschehen, das für reichlich Tränen gesorgt hatte, und nun verlangte diese wildfremde Dame von ihm, dass er den Tröster spielte. Dagegen war im Grunde nichts einzuwenden, doch eigentlich war er auf ein harmloses Schwätzchen eingestellt. Die unerwartete Situation verunsicherte ihn.
    Seufzend legte er die verräterischen Blumen auf den Tisch und schaute sich im Wohnzimmer um. Es war geschmackvoll eingerichtet, mit Möbeln aus hellem Holz und mit gelben und orangefarbenen Polstern. Blumen waren beinahe allgegenwärtig, die meisten in Töpfen, doch es gab auch eine ganze Reihe frischer Schnittblumen in Vasen, die auf einer Kommode standen. Demnach war der Akazienstrauß an sich ein gutes Gastgeschenk.
    Die Wand gegenüber der Wohnzimmertür bestand komplett aus Glas und erlaubte einen Blick über die Dächer der Stadt. Nicht allzu weit entfernt waren die Lichter des Hauptbahnhofes zu sehen, und dahinter lugten die Spitzen des Doms hervor, links glitzerte der Rhein.
    Eine große Fotogalerie, die fast die gesamte rechte Wand einnahm, erregte seine Aufmerksamkeit. Dort hingen zahlreiche Familienfotos, aber auch eine Menge Aufnahmen, die belegten, dass Frau Sturm viel herumgekommen war. Reisen schien ihre Leidenschaft zu sein. Auf den Fotos war sie vor dem Atomium in Brüssel zu sehen oder jubelnd mit einem grauhaarigen Mann am berühmten Checkpoint Charlie. Beide hielten Sektgläser in den Händen, mit denen sie sich zuprosteten, während um sie herum überall fröhliche, feiernde Menschen zu sehen waren. Vermutlich war

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