Sturms Flug
Wort ab.
»Finde es, wie du willst, das ist dein gutes Recht, und ich bin dir nicht böse deswegen. Natürlich nicht. Aber eins will ich sofort klarstellen: Ich möchte nicht darüber reden! Keine Fragen, keine Erklärungen, nichts! Kapiert?« Das klang so endgültig wie die Verkündung der Zehn Gebote.
Er nickte, und dann entdeckte er in ihren Augen, die von dunklen Tränenrändern umgeben waren, eine Spur des altbekannten Schalks aufflackern.
»Wenn du magst, darfst du mich jetzt loslassen«, sagte sie.
Die Begrüßung war natürlich längst beendet, doch er hielt immer noch ihre Hand.
»Verzeihung«, stammelte er, ließ sie los und wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
»Und zieh endlich das Ding da aus.«
Damit war sein lodengrüner Trenchcoat gemeint, ein augenscheinlich teures, aber gleichzeitig abgrundtief hässliches Kleidungsstück. Die Farbe, lodengrün, die der Verkäufer als den Schrei der Saison beworben hatte, erinnerte sie unweigerlich an erbrochene Erbsen.
»Dein wunderschöner Mantel tropft mein Parkett voll«, beschwerte sie sich.
»Draußen schüttet es wie aus Eimern«, murmelte er zerknirscht. Dann gehorchte er und hängte den Mantel an die Garderobe. »Wo ist Frau von Kalck?«
»Gegangen. Aber das bekommt man natürlich nicht mit, wenn man die Nase so tief in fremder Leute Korrespondenz steckt.« Sie lächelte. »Schön, dich zu sehen.«
Er wurde rot. »Also ich … ich wollte wirklich nicht in Ihrer Post herumstöbern.«
Sie winkte ab und forderte ihn auf, sich von der Anrichte neben dem Sofa zu bedienen, die eine kleine Bar enthielt sowie allerlei Knabberkram. Während er mit seinem Getränk in der Hand Platz nahm, verließ sie wortlos das Zimmer, um sogleich mit einer Blumenvase zurückzukehren. Leise vor sich hin summend entfernte sie das Papier von den Akazien, stellte sie in die Vase, ordnete sie.
Ihre Finger waren schlank und ihre Nägel sorgfältig gefeilt, wie er bemerkte.
»Ein schöner Strauß. Gefällt mir gut. Danke.« Sie sah ihn herausfordernd an. »Sag mal, was bedeutet es eigentlich, wenn ein junger Mann einer viel älteren Frau gelbe Akazien schenkt?«
Er bemühte sich um einen unbeteiligten Gesichtsausdruck. »Keine Ahnung. Haben denn alle Blumen eine Bedeutung?«
Sie zog eine Braue hoch. Das war eine ihrer typischen Angewohnheiten, die entweder Amüsement ausdrückte oder als Warnsignal zu verstehen war. »Komm schon, du weißt, was sie bedeuten.«
»Nein, wirklich nicht.«
Sie lachte, und dieses freche Lachen erinnerte ihn fast wieder an die alte Frau Sturm, die er im Sommer kennengelernt hatte, vor ihrer optischen Verwandlung, die sie so eindringlich zum Tabuthema erklärt hatte.
Sie behielt den amüsierten Gesichtsausdruck bei. »Anne hat mir gesagt, dass sie dich vorhin aufgeklärt hat, wofür die gelbe Akazie steht. Bodo Lohmann, du bist durchschaut!«
Er erschrak, doch bevor er protestieren konnte, bot sie ihm einen Ausweg an. »Ich gehe davon aus, dass die Wahl dieser Blumen bloßer Zufall war, ja?«
»In der Tat. Ich habe sie gekauft, weil sie mir gut gefielen. Auf dem Weg hierhin sah ich zufällig die Blumenhandlung, und da habe ich einfach angehalten, und schon beim Reinkommen ins Geschäft sind mir die Akazien förmlich ins Auge gesprungen. Ich finde sie schön, deshalb habe ich sie mitgenommen. Hat nichts weiter zu bedeuten.« Diese Erklärung war viel zu lang, das ging ihm sogleich auf, und er stoppte den Redefluss.
Erneut hob sich ihre Braue. »Merkwürdig, dass du auf dem Weg hierhin an der einzigen Blumenhandlung der Stadt vorbeigekommen bist, die Akazien verkauft. Soweit ich weiß, liegt die gar nicht auf dem Weg.«
Blumen waren ihre Leidenschaft, das wusste er, und wenn sie behauptete, dass es in ganz Köln nur einen einzigen Laden gab, der mit Akazien handelte, dann stimmte das. Er verschluckte sich beinahe an seiner Diätcola. »Erzählen Sie mir von Afrika«, forderte er, um das Gespräch in unverfänglichere Bahnen zu lenken. »Da gibt’s doch bestimmt eine Menge zu berichten.«
»Und ob. Zum Beispiel könnte ich dir erzählen, dass ich bereits kurz nach meiner Ankunft dort unten schwer krank wurde. So schwer, dass ich viereinhalb Kilo in drei Tagen abgenommen habe.«
»Viereinhalb Kilo in drei Tagen? Ist Ihnen die fremde Küche nicht bekommen?«
»Möglich. Ich habe während dieser drei Tage keine einzige Kalorie zu mir genommen. Konnte nichts bei mir behalten, Erbrechen und Durchfall jeden Tag. Und Fieber. Eines Morgens
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