Sturms Jagd
Zehn Männer standen vieren gegenüber. Eine gewalttätige Auseinandersetzung lag in der Luft.
Doch dann verwandelte sich Smertins Miene, als hätte man in seinem Kopf einen Schalter betätigt. Aus den wütend verkniffenen Zügen formte sich in Sekundenschnelle ein Lächeln. »Warnen?«, fragte er und hob gekünstelt die Hände. »Aber warum denn so feindselig, Towarisch? Ich weiß sehr gut, wen ich vor mir habe, und ich achte dich. Ich war nur ein wenig aufgebracht, weil ich schon so lange hier herumstehe. Aber du hattest sicher einen guten Grund für deine Verspätung. Du bist mein Towarisch , mein Geschäftspartner. Mein Sukin Sin .« Sein Tonfall und sein aufgesetztes Gehabe waren bühnenreif.
» Sukin Sin ?«, wiederholte der Narbige.
Eifriges Kopfnicken. » Da, Sukin Sin . Guter Freund, guter Towarisch .« Wieder ließ Smertin einige Sätze auf Russisch folgen, aber diesmal lachte niemand.
Das lag an der Bedeutung seiner Worte, denn sinngemäß sagte er: »Ich werde dir ins Knie schießen, du Sukin Sin – du Hurensohn –, sobald unser gemeinsames Geschäft gelaufen ist und ich dich nicht mehr brauche. Und wenn du erst vor mir im Staub liegst, quiekend wie eine Sau, werde ich dir in deine narbige Visage pissen, bevor ich dir erlaube zu verrecken.« Er lächelte wie ein bemühter Vertreter, der jemandem ein Zeitschriftenabonnement verkauft.
Dem Narbigen war nicht anzusehen, ob er die Bedeutung der Drohung erriet, doch wenn er es tat, hatte er wohl beschlossen, keine Zeit mehr mit Machtkämpfen zu verschwenden, sondern endlich zur Sache zu kommen. »Ist die Gruppe komplett?«, fragte er übergangslos. »Sind das die Leute?« Er machte eine vage Kopfbewegung in Richtung der Männer, die ihn und Smertin in einem Halbkreis umringten.
Der Russe nickte. » Da , die Mannschaft ist komplett.« Er drehte sich um und stellte jeden Einzelnen vor, wobei er mit dem Zeigefinger auf ihn deutete und seine Fähigkeiten pries.
Links außen befanden sich Pjotr und Dimitrij, augenscheinlich Russen, die, so Smertin, als Fallschirmjäger der Roten Armee in Afghanistan gedient hatten. Der Kerl daneben war zweifellos Mitteleuropäer, ein unförmiges Etwas mit Irokesenschnitt, das von Smertin als Kippe vorgestellt wurde. Kippe habe eine Schraube locker, erklärte Smertin lachend, doch er sei außerdem dafür bekannt, nicht lange zu fackeln, wenn es hart auf hart kam. Rechts von Kippe stand Gigolo. Sein Spitzname kam nicht von ungefähr, denn er war ein bemerkenswert gut aussehender Bursche, der ohne weiteres als Dressman durchgegangen wäre. Er war glatt rasiert und ordentlich gekleidet, doch sein domestiziertes Aussehen täuschte, denn auf der Innenseite seines Handgelenks befand sich die Tätowierung der Falcon Brigade , einer internationalen Söldnertruppe, die für ihre Rücksichtslosigkeit berüchtigt war. Letztmalig waren die Falken im Balkankrieg in Erscheinung getreten, wo sie gelegentlich die Fronten gewechselt hatten, je nach Bonität ihrer Auftraggeber. Die Mannschaft wurde komplettiert von dem Elsässer Maxime, von einem weiteren Russen namens Anastas sowie einem spindeldürren Elend, das passenderweise Hungerturm genannt wurde. Auch Maxime und Hungerturm hatten eine militärische Ausbildung durchlaufen, versicherte Smertin, während Anastas als angeblicher Kfz-Virtuose für das Fluchtfahrzeug verantwortlich war.
Blieben zwei Männer, die Smertin nicht vorstellte: Einer von ihnen trug eine Augenklappe, der andere war gänzlich unscheinbar und fiel lediglich dadurch auf, dass er weiß war wie ein Laken und stärker schwitzte als alle anderen. Die beiden standen etwas abseits und gehörten nicht der Söldnertruppe an.
Victor Smertin frohlockte. »Du siehst, Towarisch – Sukin Sin –, ich habe die besten Leute ausgesucht für unser kleines Vorhaben, für die Operation Schneesturm.« Er faselte etwas von den Glorreichen Sieben, wiederholte immer wieder den Codenamen Operation Schneesturm, doch der Narbige hörte kaum zu.
»Was ist mit dem Mädchen?«, fragte er stattdessen. »Mit der Putzfrau? Ist sie schon befragt worden?«
Smertin wedelte tadelnd mit dem Zeigefinger. »Ich kann mich nicht um alles gleichzeitig kümmern. Das Mädchen kommt morgen früh an die Reihe. Pjotr und Kippe werden das besorgen.«
Diese Ankündigung sorgte für ausgelassene Heiterkeit bei Kippe. Er gluckste dämlich, und sein Wanst geriet dabei ins Schwabbeln.
»Was ist daran so komisch?«, wollte der Narbige wissen. Das Gekicher ging ihm
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