Sturms Jagd
den Windschutzscheiben der Autos und ließ die Gesichter der Männer, die bei den Wagen warteten, unnatürlich blass aussehen.
Zehn Gestalten waren zusammengekommen, acht Ungeduldige und zwei Ängstliche, und sie drängten sich um einen nagelneuen Nobelmercedes und zwei Lieferwagen. Schotter knirschte unter den Schuhsohlen, eine Zigarette glühte auf. Die Rastlosigkeit der Männer lag körperlich spürbar in der lauen Luft.
»Verdammte Narbenvisage!«, fluchte einer der Wartenden, ein Glatzkopf namens Victor Smertin. Er spie die Worte förmlich aus, und sein Akzent war unüberhörbar Russisch. »Dieser Sukin Sin kommt absichtlich zu spät. Das macht er, um mich zu demütigen. Er will mir zeigen, dass ich nach seiner Pfeife zu tanzen habe, aber da irrt er sich.« Es folgte eine Flut obszöner Verwünschungen, zum Teil auf Deutsch, zum Teil auf Russisch.
Victor Smertin war der Anführer der wartenden Schar. Das Gesicht unter seinem kahlen Haupt war markant, mit einer tiefen Falte über der Nasenwurzel und zwei weiteren um die Mundwinkel. Er hatte auffällig fahle Haut, etwa in der Farbe des Mondes, wodurch sein Schädel fast wie ein Totenkopf aussah. Sonne schien er zu meiden wie die Pest. Dennoch war er nicht wirklich hässlich, auch wenn er auf geradezu beängstigende Weise brutal wirkte.
»Ich glaube, da kommt ein Auto!«, rief jemand und deutete zur Straße.
Alle Blicke ruckten in Richtung Zufahrt.
Auch Smertin stierte in die Nacht, wenngleich er kaum etwas erkennen konnte, da er, wie immer, eine Sonnenbrille trug. Es war ein offensichtlich teures und ausnehmend stylish anmutendes Modell in Sportler-Optik, und die schwarzen Gläser vor den Augen verstärkten das Totenkopfaussehen seines Gesichtes. Gerüchte besagten, dass er die Brille nur zum Schlafen abnahm, wenn überhaupt, und niemand wagte, ihn auf diese Marotte anzusprechen oder gar darüber zu lästern. Das war klug, denn Victor Smertin gehörte nicht zu den Männern, über die man sich ungestraft lustig machte.
Das Geräusch eines Motors wurde laut, gleich darauf tauchten zwei Lichtkegel auf, in denen Myriaden von Mücken tanzten.
»Das ist er«, behauptete jemand, »das ist die Karre des Narbigen!«
Die Karre , ein Ungetüm aus Blech mit Reifen wie Walzen, war ein Geländewagen H2 der Firma Hummer, ursprünglich eines jener Militärfahrzeuge, die man gemeinhin als Humvees aus amerikanischen Kriegsfilmen kennt. Irgendwann in den letzten Jahren hatten es die Humvees von der Panzerpiste auf die Straße geschafft, und der Tarnanstrich war einer Lackierung in Edelmetallic gewichen, ergänzt um reichlich Chrom. Wer einen Hummer H2 fahren wollte, musste mindestens 70 000 Euro berappen, je nach Ausführung wurde das Doppelte fällig.
Der Bolide rollte langsam auf Smertin zu, Xenon-Licht spiegelte sich in seiner Sonnenbrille. Dann brachte der Fahrer das Monstrum zum Stehen und schaltete Motor und Scheinwerfer aus. Für einen kurzen Moment schien die Welt in bodenloser Finsternis zu versinken, bis sich die Pupillen wieder an die ursprünglichen Lichtverhältnisse gewöhnt hatten. Vier Männer stiegen aus dem Humvee, drei blieben zurück, einer hielt geradewegs auf Smertin zu. Selbst im fahlen Zwielicht sah man die Pockennarben in seinem Gesicht. Er blieb erst stehen, als er nur noch eine halbe Armlänge von Smertin entfernt war.
»Achtzehn Minuten nach zwölf«, schnappte der Russe. Er ereiferte sich so sehr, dass ihm der Speichel von der Unterlippe troff. »Du kommst fast zwanzig Minuten zu spät. Wen, glaubst du, hast du vor dir? Ich bin nicht dein Lakai. Dermo! «
Der Narbige blieb gelassen. Er schaute in die Runde, musterte Smertins Leute im Hintergrund, so als beurteile er die Kampfkraft eines möglichen Gegners. Er und seine drei Begleiter waren klar in der Unterzahl. Dann richtete er den Blick auf den Anführer. »Warum fluchst du? Ist das die russische Art, einen Geschäftspartner zu begrüßen?«
Smertin antwortete mit einer erneuten Schimpfkanonade. Diesmal bediente er sich ausschließlich seiner Muttersprache, während er in Tonfall und Gestik unzweifelhaft erkennen ließ, dass er kurz davor stand, handgreiflich zu werden. Schließlich wandte er sich an seine Leute, sagte etwas, und das sorgte für allgemeines Gelächter.
Dem Narbigen war klar, dass der Russe soeben einen Witz auf seine Kosten gemacht hatte. »Ich warne dich, Vicky, auch du solltest daran denken, wen du vor dir hast!«
Für die Dauer eines Wimpernschlages herrschte Stille.
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