Sturms Jagd
sollte. »Das … das stimmt«, bestätigte sie zögernd. »Meistens freitagmorgens. Das passt mir am besten, weil meine erste Vorlesung freitags erst um 11 Uhr 30 …«
Erneut wurde sie unterbrochen. »Freitags bist du mit einer Putzkolonne von 3G in der Bank am Karlsplatz, richtig?«
Bei der Bank am Karlsplatz, folgerichtig auch Karlsbank genannt, handelte es sich um ein riesiges dreißigstöckiges Haus mit imposanter Spiegelglasfassade, das ziemlich neu war und das man binnen kürzester Zeit im Stadtteil Braunsfeld aus dem Boden gestampft hatte. Gleiches galt für den namensgebenden Karlsplatz selbst, eine exakt quadratische Fläche in den Dimensionen mehrerer Fußballfelder, an der die Pflasterer schon seit einem halben Jahr arbeiteten und partout nicht fertig wurden. Insgesamt war die Lage der Bank eher unpassend, zwischen lauter Industrie- und Gewerbebetrieben, doch dafür gab es ausreichend Parkplätze und – wichtiger – eine Tresoranlage, die angeblich zu den sichersten und modernsten gehörte, die es auf der Welt gab.
Laura starrte den Mann aus großen Augen an. Allmählich dämmerte ihr, was man von ihr wollte. Obwohl – die Annahme, dass man sie entführt hatte, um von ihr etwas über die Sicherheitsvorkehrungen der Karlsbank herauszubekommen, war aberwitzig. Herrgott, sie war eine Putze, eine simple Aushilfskraft in einer Reinigungsfirma, zu deren Kundenkreis zufällig eine Großbank gehörte. Was konnte sie schon wissen? Jeder noch so unbedeutende Bankangestellte wäre vermutlich eine lohnendere Informationsquelle gewesen.
»Wie läuft das für gewöhnlich?«, fragte der Dressman. »Fährst du morgens zuerst zu dieser Putzfirma oder direkt zur Bank?«
Die Verzweiflung stand ihr ins Gesicht geschrieben. »So glauben Sie mir doch, hier muss es sich um einen Irrtum handeln, um eine Verwechslung. Ich bin mit Sicherheit der falsche Adressat für Ihre Fragen, denn ich weiß so gut wie gar nichts über …«
»Erst zur Firma oder direkt zur Bank?«, beharrte der Mann.
»Erst zur Firma«, gab sie klein bei.
»Um wie viel Uhr kommst du üblicherweise dort an?«, setzte er nach.
»Bei 3G?«
Er atmete hörbar aus. »Wo sonst?«
»Gegen zwanzig nach sechs.«
»Fährst du mit deinem Auto dorthin oder mit der Straßenbahn?«
»Mit meinem Corsa.«
»Gut. Und was geschieht dann?«
»Dann warten wir, bis wir vollzählig sind, und fahren mit einem Firmenwagen zum Karlsplatz, zur Bank.«
»Wie lange dauert die Fahrt?«
Sie zuckte die Achseln. »Nicht allzu lang.«
»Nicht allzu lang, aha.« Der Dressman musterte sie eine volle Minute, und in dieser Zeit herrschte beängstigendes Schweigen. Keiner sprach ein Wort, nur Kippe erlaubte sich ein Kichern.
Schließlich fuhr der Dressman im Flüsterton fort, und seine Worte versetzten Laura in Angst und Schrecken. »Ich habe keine Lust, dir jedes Wort aus der Nase zu ziehen«, zischte er. »Ich warne dich, hör auf mit diesem einsilbigen Gezicke! Oder willst du, dass ich dir die Augen aussteche? Du wirst das überleben, aber es tut höllisch weh. Und eine Riesenschweinerei ist es obendrein, also erspar uns das.«
Er griff sich an den rechten Fußknöchel, und im nächsten Moment hielt er ein Messer in der Hand, dessen Klinge auf Knopfdruck aus dem Heft sprang. Er legte das Messer auf den Rand des Laptops. »Ich frage dich also jetzt zum letzten Mal: Wie läuft so ein Freitagmorgen für gewöhnlich ab? Mich interessiert jede Kleinigkeit, angefangen von deiner Ankunft bei 3G bis zu dem Moment, in dem die Putzkolonne nach getaner Arbeit wieder abrückt.« Er sah, dass sie weinte. »Und noch zwei Dinge. Erstens: Nein, hier liegt kein Irrtum vor, wir wissen haargenau, wer du bist, und wir wollen genau dich. Zweitens: Hör auf zu heulen, oder ich nehme mir deine Augen jetzt gleich vor, ist das klar?« Er sprach im Plauderton, völlig emotionslos.
Laura nickte, zwang sich zu einem halbwegs verständlichen »Ja«. Sie zitterte, trotz der Hitze im Raum. Nur unter Aufbietung ihrer gesamten Willenskraft schaffte sie es, ein Schluchzen zu unterdrücken. Dann schilderte sie die Abläufe vom Betreten der Bank durch die Putzkolonne um zirka 6 Uhr 30 bis hin zum Verlassen gegen 8 Uhr 15. Dabei ließ sie nicht die allerkleinste Kleinigkeit aus.
Die Tastatur des Laptops klapperte unablässig, da der Dressman jedes Wort mitschrieb. Er tippte mit zehn Fingern, blind und rasend schnell. Nur hin und wieder wies er Laura an, ihren Bericht zu unterbrechen, damit er mit dem
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