Sturmsegel
Anneke und Hinrich zu sich.
»Was hast du rausgefunden?«, wollte sein Bruder wissen.
»In der Stadt geht eine ungeheure Schweinerei vor«, entgegnete Sönke im Flüsterton. »Die ganze Sache mit dem Verrat ist ein Komplott.«
»Was sagst du da?« Anneke riss die Augen auf.
»Dank meiner Uniform konnte ich mich unter den Schweden etwas näher umhören und so habe ich in Erfahrung gebracht, dass ein paar einflussreiche Männer Schulden bei unserem Vater haben. Und zwar in solch einer Höhe, dass sie diese nicht zurückzahlen können. Also haben sie die kaiserlichen Soldaten bestochen, Vater als Verräter zu denunzieren.«
»Das gibt es doch nicht!« Empört schlug sich Hinrich mit der Faust in die Hand.
»Scheinbar doch. Und das Schlimme ist, niemand wird etwas dagegen tun können.«
»Ist Steinwich auch darin verstrickt?«, fragte Anneke, worauf Sönke den Kopf schüttelte.
»Nein, der Einzige, von dem man mit Gewissheit sagen kann, dass er nicht mit den Verschwörern unter einer Decke steckt, ist Lambert Steinwich. Aber er allein kann nichts ausrichten. Außerdem hat er andere Sorgen, denn der Schwedenkönig wird bald hier ankommen und seinen Lohn für die Unterstützung fordern. Wir müssen so rasch wie möglich handeln und Vater irgendwie aus dem Kerker holen. Wenn möglich, noch heute Nacht.«
»Das machen wir!«, entgegnete Hinrich kampfeslustig.
»Ich werde auch mitkommen!«, fügte Anneke hinzu.
Sönke war nicht begeistert. »Wäre es nicht besser, wenn du hierbleiben würdest?«
Hier, bei euren Kumpanen, die dann wer weiß was mit mir anstellen, wenn ihr nicht da seid?, dachte das Mädchen, sprach es aber nicht laut aus. Stattdessen sagte sie: »Er ist genauso mein Vater wie eurer, und ich will helfen, egal wie!«
Die Entschlossenheit, die sie dabei an den Tag legte, überzeugte Sönke.
»Gut, wir werden vielleicht jemanden brauchen, der den Bewacher im Scharfrichterhaus ablenkt. Zu Nachtzeiten ist das entweder der Meister selbst oder einer seiner Knechte. So viel habe ich herausgefunden.«
Hinrich und Sönke verschwanden nun in einem der behelfsmäßig aufgerichteten Zelte, die den Männern zum Schlafen dienten.
Als sie zurückkehrten, hatten sie jeweils ein Messer und eine Pistole im Gürtel stecken, Sönke hatte zusätzlich noch ein Seil um den Leib gewickelt.
»Sollen wir vielleicht mitkommen?«, fragte Walter.
»Nein, das ist unsere Sache«, entgegnete Sönke und kehrte mit Hinrich und Anneke zu seinem Pferd zurück.
Zu dritt ritten sie auf dem Rappen in Richtung Knieperdamm.
Ein wenig Nebel war aus den Wiesen aufgestiegen und schwebte wie eine Armee von Geistern vor der Stadt.
Als sie das Tor erreichten, schob sich der Mond gerade über die Stadtmauer. Die Ziegel glänzten, als seien sie mit einem Lack überzogen.
»Und wie sollen wir in die Stadt kommen?«, flüsterte Anneke, während sie sich ebenso wie ihre Brüder ins Gebüsch duckte.
Die Wachposten am Stadttor hatten sich in ihre Unterkunft zurückgezogen, aus der ein schwacher Lichtschein auf die Straße fiel.
»Vielleicht sollten wir die Wächter überwältigen«, schlug Hinrich kampfeslustig vor.
Sönke schüttelte den Kopf. »Das halte ich nicht für klug. Wir sollten einen anderen Weg wählen. Ich glaube, ich weiß auch schon, welchen.«
»Und zwar?«, fragte Hinrich, doch sein Bruder gab ihm keine Erklärung.
»Kommt mit!«, sagte er nur und verschwand in der Dunkelheit.
*
»Ich soll da raufklettern?« Anneke blickte skeptisch an dem Seil hinauf, das Sönke mithilfe eines Hakens an der Mauer befestigt hatte. Sönke war bereits oben, Anneke sollte die Nächste sein. Das Problem war nur, dass sie noch nie in solch eine große Höhe geklettert war.
»Was soll daran schwer sein? Los, sieh zu, dass du hochkommst, Hurenbalg, sonst mach ich dir Beine.«
Anneke blickte Hinrich feindselig an. Aber sie wusste, dass er recht hatte, und er meinte es anscheinend auch nicht so böse wie es klang. Wenn sie nicht dort hochkam, würden Sönke und Hinrich ihren Vater entweder allein befreien oder sie mussten bis zum Morgengrauen warten, um in die Stadt zu kommen. Also fasste sie sich ein Herz und begann zu klettern. Hinrich stützte sie so gut es ging und folgte ihr dann.
Noch nie zuvor war Anneke an einem Seil hochgeklettert. Die Apfelbäume in ihrem Garten waren allesamt niedriger gewesen und nur selten hatte sie das Verlangen verspürt, sie zu erklimmen. Doch nach einer Weile gelang es ihr recht gut.
»Na siehst du, es geht
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