Sturmsegel
schließlich, als sie bereits kehrtmachen wollte, sah sie einen Feuerschein zwischen den Bäumen. Vielleicht war das ein Irrlicht, das sie in den Sumpf locken wollte? Es war aber auch möglich, dass es die desertierten Söldner waren.
Anneke ging darauf zu. Dabei versuchte sie, gut auf den Boden unter sich zu achten, um nicht unversehens in den Sumpf zu geraten.
Nachdem sie ein paar Mal schon befürchtet hatte, gleich zu versinken, erreichte sie schließlich das Lager.
Sieben junge Männer saßen um ein Lagerfeuer, in das sie Kienzapfen hielten, und sich freuten, wenn sie in den Flammen knackten und barsten.
Als sie Annekes Schritt hörten, wirbelten ihre Köpfe herum und ihre Hände schnellten an die Waffen, die sie am Gürtel trugen oder neben sich liegen hatten.
»Anneke, was machst du hier?«, fragte Hinrich, der sie glücklicherweise gleich erkannt hatte.
»Ich brauche eure Hilfe«, entgegnete das Mädchen, während sie das Tuscheln und die anzüglichen Blicke der übrigen Männer ignorierte. »Unser Vater ist verhaftet worden.«
»Was sagst du da?« Sönke fuhr in die Höhe.
»Er sitzt im Kerker, schon eine Weile. Man will ihn wegen Verrats anklagen.«
Das Gelächter verstummte augenblicklich.
Anneke blickte die anderen Männer und Jungen ein wenig unsicher an, bis Sönke sagte: »Setz dich zu uns und erzähl die ganze Geschichte.«
Das tat Anneke, wenngleich sie die Gegenwart der Soldaten ein wenig ängstigte.
»Das ist ja wohl die Höhe!«, platzte Hinrich heraus, als sie geendet hatte. »Unser Vater hätte die Stadt nie an die Kaiserlichen verraten.«
»Aber er hat dich und Anneke aus der Stadt geschickt. Den Ratsherrn ist das sicher zu Ohren gekommen.«
»Lambert Steinwich hat es unserem Vater geraten!«, hielt Hinrich dagegen.
Anneke fiel jetzt auch wieder ein, dass sie genau diese Worte vernommen hatte, als sie ihren Vater und Steinwich belauscht hatte. Offenbar war sie nicht die Einzige gewesen, die lange Ohren gemacht hatte.
»Gut, wenn das so ist, dann kann man ihm das nicht vorhalten. Aber die Aussage der Soldaten wiegt schwer.«
»Kannst du denn nicht herausfinden, ob sie die Wahrheit gesagt haben?«, fragte Anneke und bereute es gleich danach wieder, denn wie sollte das möglich sein?
Sönke wies ihre Frage aber nicht gleich ab. Er überlegte kurz, dann sagte er: »Das wäre durchaus machbar.«
»Und wie willst du das anstellen?«, erkundigte sich Hinrich, worauf sein Bruder breit grinste.
»Wir haben noch unsere Uniformen! Natürlich muss ich mich vorsehen, dass mich niemand erkennt, aber mit ein wenig Schmutz im Gesicht und dem Hut tief in der Stirn müsste es gehen. Außerdem kennen mich die Schweden in der Stadt nicht, denn sie gehören zu einer anderen Kompanie.«
Damit erhob er sich und verschwand in seinem Zelt, um wenig später als schwedischer Musketier wieder daraus aufzutauchen.
*
Sönke verließ noch in derselben Nacht das Lager. Hinrich hatte eigentlich mitkommen wollen, doch sein Bruder hatte ihn zurückgelassen, damit er auf die Schwester achtgeben konnte. Murrend hatte sich der jüngere Martens gefügt.
Anneke hatte auf dem Waldboden schlecht geschlafen und saß den gesamten folgenden Tag wie auf glühenden Kohlen. Die Frage, ob es ihrem Bruder gelingen würde, an die kaiserlichen Soldaten ranzukommen, nahm sie dermaßen stark ein, dass sie die interessierten Blicke und witzig gemeinten Bemerkungen der Männer gar nicht merkte.
Immerhin gab es im Lager etwas zu essen. Vor lauter Anspannung hatte Anneke ohnehin nicht viel Hunger, aber ihr Magen verlangte nach Nahrung und die bekam er hier in Form von Schiffszwieback, Pökelfleisch und Äpfeln.
Am Nachmittag machten sich einige Burschen auf die Suche nach Strandgut. Anneke wollte schon darauf bestehen, mitzukommen, in der Hoffnung, Ingmar zu finden, doch Hinrich hielt sie zurück.
»Wenn sie jemand Lebenden am Strand finden, werden sie ihn auch am Leben lassen«, sagte er ahnungsvoll, denn er hatte nicht vergessen, dass sie nach weiteren Überlebenden gefragt hatte. »Von den Toten brauchst du nichts zu wissen.«
Einen Tag später kehrte Sönke zurück. Er hatte in der Stadt ein Pferd gestohlen, weshalb ihn Hinrich und die anderen zuerst für einen schwedischen Kurier hielten und sich für den Fall, dass er sie entdeckte, kampfbereit machten. Als er jedoch zielstrebig auf das Lager zuritt, wussten sie, dass es ihr Kamerad war.
Nachdem er den Rappen zum Stehen gebracht hatte, stieg er aus dem Sattel und rief
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