Sturmsegel
Verdacht fest. »Was hat er dir denn noch erzählt außer dass er mit deiner Mutter heimlich zusammen war?«
»Er behauptete, dass er meine Mutter heiraten wollte. Aber sie wollte das nicht. Das klingt ganz genau nach ihr, weißt du?«
Über ihre Mutter zu sprechen, versetzte Anneke einen Stich im Herzen. Auf einmal fühlte sie sich, als würde die Schnürbrust noch enger werden.
»Nun, wenn das so ist, dann hast du es wohl gut getroffen«, entgegnete Marte schließlich, doch ihre Zweifel schienen noch nicht ganz zerstreut. »Das Kleid hier ist jedenfalls wunderschön.«
»Ja, solange man nicht drinsteckt«, seufzte Anneke. »Es ist furchtbar unbequem. Beim Laufen hat man das Gefühl, gefesselt zu sein.«
»Ja, aber du siehst darin wie eine Prinzessin aus. Ist das nichts?«
»Nur dass ich keine Prinzessin bin! Ich bin ich, und auch wenn ich Rüschen und Perlen trage.«
»Es gibt viele Menschen, denen plötzlicher Reichtum zu Kopf steigt«, entgegnete Marte. »Mein Vater sagt immer, Geld verdirbt die Menschen.«
»Damit mag er recht haben. Aber ich würde das Kleid hier liebend gern dagegen eintauschen, dass meine Mutter wieder lebt. Aber das geht nun mal nicht.«
Anneke senkte den Kopf. Kaum hatte sie den Satz beendet, schossen ihr Tränen in die Augen und ihre Schläfen fühlten sich an, als würden sie jeden Augenblick unter dem Donnern ihres Pulses zerreißen.
»Verzeih, ich wollte dich doch nur ein bisschen necken.« Marte nahm ihre Freundin bei der Hand und führte sie zu einem riesigen Treibholzast, den die sturmgepeitschten Wellen mitgebracht hatten. Nachdem sich die beiden darauf niedergelassen hatten, zog Marte Annekes Kopf an sich.
»Deine Mutter wäre sicher froh, dich versorgt zu sehen«, sagte sie sanft und strich ihr übers Haar, während ihre Freundin leise vor sich hin schluchzte. »Gib nichts auf mein Gerede, vielleicht ist dein Vater ja wirklich ein guter Mensch. Wäre er schlecht, hätte er dich nicht aus deiner Hütte fortgeholt. Mein Vater sagt, die Zeiten sind hart, da müssen Menschen manchmal auch mit dem Teufel Handel treiben. Dein Vater wird Stralsund bestimmt nicht an die Kaiserlichen verraten.«
Eine ganze Weile blieben sie still auf dem Ast sitzen. Die Meeresbrise strich über sie hinweg und Sonnenstrahlen tanzten auf der Meeresoberfläche.
Als sie sich wieder beruhigt hatte, begann Anneke von ihrem neuen Zuhause zu berichten. Dabei kam die Sprache auch auf ihren Halbbruder.
»Er wird mir bestimmt eine Menge Ärger machen«, seufzte Anneke. »Ist das mit deinen Brüdern auch so?«
Martes Familie war ziemlich groß, neben zwei älteren Brüdern und einer älteren Schwester hatte sie auch noch drei jüngere Geschwister. Selbst wenn man mit verbundenen Augen durch ihre Straße ging, wusste man, wo das Haus des Stadtsoldaten Hagebohm lag. Es war das, aus dem zu Tageszeiten der meiste Lärm drang.
»Meine älteren Brüder prügeln sich höchstens mal untereinander, aber sobald sie mir was tun wollen, versetzt ihnen Vater Kopfnüsse«, antwortete Marte. »Meine jüngeren Brüder quengeln viel und hängen mir dauernd am Rockzipfel. Seit Rosa einen Bräutigam hat, kümmert sie sich nur noch um ihre Aussteuer und träumt den ganzen Tag von ihrem Mann. Die Kleinen kommen nun zu mir, wenn sie die Nase geputzt haben wollen.«
Und niemand nennt dich Bastard, dachte Anneke und spürte, wie ihr Herz noch schwerer wurde, als wäre es ein Bleiklumpen.
»Vielleicht glaubt dein Halbbruder, dass sich dein Vater jetzt nur noch um dich kümmern wird«, versuchte Marte eine Erklärung zu finden. »Immerhin hat er das ja viele Jahre lang nicht tun dürfen.«
»Aber deshalb wird er seinen Sohn doch nicht weniger lieb haben!«, hielt Anneke dagegen.
»Sicher nicht, aber verstehe du mal die Jungs!« Marte verdrehte genervt die Augen. »Die haben allerhand dummes Zeug im Kopf. Wer weiß, was dieser Dösbaddel sich zusammenreimt. Wenn er dir zu schlimm zusetzt, sag mir Bescheid, ich schick ihm meine Brüder. Oder ich knöpf ihn mir selbst vor.«
Marte reckte drohend die Faust in die Höhe und zog eine grimmige Miene, was Anneke wieder zum Lächeln brachte.
Wie gut, dass ich dich habe, dachte diese. Wenigstens einen Menschen, auf den ich mich wirklich verlassen kann.
»Jetzt sollten wir besser wieder gehen«, sagte Marte. »Dein Vater hat inzwischen sicher mitbekommen, dass du nicht im Haus bist. Entweder von selbst oder durch deinen feinen Halbbruder.«
Die beiden Mädchen hakten sich unter,
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