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Sturmsegel

Sturmsegel

Titel: Sturmsegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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flach wie möglich.«
    Bevor Sanne allerdings mit ihrem Sitzunterricht beginnen konnte, betrat Roland Martens das Zimmer. Er betrachtete Anneke einen Moment lang, dann lächelte er.
    »Du siehst beinahe aus wie deine Mutter«, sagte er und trat näher.
    »Wirklich?«, fragte sie, während sie sich vor dem Spiegel drehte. Sie hatte ihre Mutter nie in einem feinen Kleid gesehen.
    Ihr Vater nickte. »Schon bald werden sich die Kavaliere der Stadt darum streiten, dir den Hof machen zu dürfen.«
    Anneke war nicht sicher, ob sie das wirklich wollte. Natürlich hatte sie mit Marte zuweilen davon geträumt, wie es wäre, einen Liebsten zu haben. Aber beide waren zu dem Schluss gekommen, dass sie eigentlich noch viel zu jung dafür waren.
    Außerdem wusste sie in Stralsund keinen Burschen, der ihr gefallen könnte.
    »Eine gute Wahl habt Ihr da getroffen, Sanne«, wandte er sich dann an die Kinderfrau, die geschmeichelt lächelte. »Dann kann der Unterricht morgen wohl beginnen.«
    Er zog hinter seinem Rücken ein paar Blätter feines Papier und eine lange weiße Feder hervor.
    Die Kinderfrau zog verwundert die Augenbrauen hoch. »Soll Eure Tochter denn nicht nähen und Benimm lernen?«
    »Das soll sie«, pflichtete der Kaufmann ihr bei. »Aber wir wollen ihren Geist doch nicht verkümmern lassen! Bis Magister Petronius hier eintrifft, wirst du ihre Schreibkünste überwachen. Ihre Mutter hat ihr das Schreiben beigebracht, aber es kann nicht schaden, wenn sie ihre Handschrift verfeinert.«
    Damit legte er Feder und Heft auf den Tisch neben dem Spiegel und zwinkerte Anneke zu.
    »Ich wünsche dir viel Vergnügen, mein Kind.«
    *
    Ob es wirklich ein Vergnügen war, eine Dame zu werden, bezweifelte Anneke. Mit dem Kleid konnte sie weder richtig sitzen noch richtig laufen.
    Dennoch wagte sie nicht, Sanne zu bitten, wieder ihr altes Kleid anziehen zu dürfen. Wahrscheinlich hätte diese es ihr auch gar nicht gestattet.
    Da der Unterricht erst am kommenden Tag beginnen sollte, führte Sanne sie ein wenig im Haus herum. Sie zeigte ihr die große Stube, in der die Familie des Abends zusammensaß, sie zeigte ihr die Speisekammer und selbst in das Studierzimmer ihres Vaters durfte sie einen Blick werfen. Anschließend ging es hinaus zum Kräutergarten. Dieser sah noch ziemlich wüst und kahl aus, bis auf die Petersilie, die dem Schnee getrotzt hatte, war noch kein frisches Grün zu sehen.
    »Das wird sich in den nächsten Wochen ändern«, erklärte Sanne. »Dann werden wir Kräutersäckchen anfertigen, die wir zwischen unsere Wäsche tun.«
    Auf dem Weg vom Kräutergarten begegnete ihnen wieder Hinrich. Der Junge trug gerade ein paar verpackte Schachteln zur Kutsche. Offenbar sollte heute noch eine Warenlieferung das Kontor verlassen.
    Anneke versuchte sich erneut an einem Lächeln, auch wenn Hinrich es nicht verdient hatte. Aber der Junge blickte sie bloß hasserfüllt an, ohne sich darum zu kümmern, dass Sanne zugegen war. Die Kinderfrau sagte nichts zu seinem Benehmen.
    »Wollen wir doch mal sehen, was Nettel gerade anstellt«, sagte sie nur und strebte der Hintertür zu.
    Das kann ja heiter werden, dachte Anneke traurig und folgte ihr dann ins Haus, das vom Geruch gebratener Hühnchen erfüllt wurde.
    Beim Mittagsmahl blickte Hinrich sie die ganze Zeit über an, als wollte er sie mit einem Fluch belegen. Nicht einmal das fröhliche Geplauder zwischen Nettel und Sanne und die Bemerkungen des Kaufmanns konnten sie davon ablenken. Hinrichs Blicke waren wie zwei Dolche, die auf sie einstachen.
    Außerdem zwickte die Schnürbrust beim Sitzen und verhinderte gnadenlos, dass sie sich den Bauch vollschlug. Sie pickte wie ein Spatz in ihrer Mahlzeit herum, obwohl das Hühnchen wirklich hervorragend schmeckte.
    So soll also das Leben einer Dame sein?, fragte sie sich und ihr Herz wurde unsagbar schwer, denn eigentlich hätte sie lieber ihre Mutter und ihr altes Leben wiedergehabt.
    Am Nachmittag, als Sanne sich in ihre Kammer zurückzog, beschloss Anneke, zum Strand zu laufen. Das Gespräch mit Marte war längst überfällig. Wenn sie ihr nicht bald alles erzählte und auch ihrem Ärger über Hinrich Luft machte, würde sie wohl aus der Schnürbrust platzen.
    Sie wusste nicht, ob es ihrem Vater recht sein würde, aber da er nicht anwesend war, verließ sie kurzerhand das Haus und lief in Richtung Knieperdamm.
    Die Leute auf der Straße blickten ihr verwundert nach. Anneke wusste, dass das an ihrem Kleid lag. Ein ärmlich gekleidetes

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