Sturmsegel
härter zu treffen, als es jeder Schlag gekonnt hätte. Augenblicklich ließ sie Magnus los und wich vor ihm zurück, als würde sie sich ekeln.
Den Blick voll Abscheu und Hass, den sie ihm zuwarf, würde Anneke nie vergessen.
Sie verdrückte sich schnell hinter den Türrahmen, denn sie fürchtete, mehr zu sehen, als sie eigentlich wollte.
Doch es geschah nichts. In der Küche wurde es totenstill.
Als Anneke vorsichtig um die Ecke spähte, sah sie, dass Magnus gerade Tjorven losließ. Inga eilte sogleich zu ihrem Sohn und nahm ihn in die Arme.
Tjorvens Gesicht war dunkelrot, Tränen rannen ihm über die Wangen. Sein Blick jedoch war ähnlich dem seiner Mutter und jagte Anneke Angst ein. Wäre es möglich gewesen, mit Blicken zu töten, wäre Magnus längst zu Boden gegangen.
Das Schicksal der Vasa
August 1628
Das Leben in der Schenke ging dennoch weiter. Auf den ersten Blick machte es den Anschein, als sei nichts passiert. Gitta erholte sich von ihrer geheimnisvollen Krankheit und konnte schon eine Woche später wieder zur Arbeit erscheinen.
Magnus' Laune verbesserte sich dadurch ein wenig, aber Anneke fiel auf, dass er es kaum mehr wagte, sie anzusehen. Es schien fast so, als würde er sich für das, was sie beobachtet hatte, schämen.
Tjorven war jetzt noch mehr in sich gekehrt als vorher. Der Angriff seines Stiefvaters und der Vorwurf, die Magd vergiftet zu haben, lasteten schwer auf ihm. Außerdem hatte er von der Ohrfeige des Wirtes einen großen blauen Fleck zurückbehalten, der langsam verblasste.
Seine Mutter ließ sich jetzt noch weniger unten sehen als bisher. Zu den Mahlzeiten musste Anneke ihr ein Tablett in ihr Zimmer bringen. Ihr Sohn leistete ihr Gesellschaft.
Anneke fragte sich, was wohl geschehen war. Hatten Inga und Tjorven tatsächlich etwas mit Gittas Krankheit zu tun?
Ihre Genesung war immerhin sehr plötzlich gekommen, so als hätte jemand einen Fluch von ihr genommen. Oder aufgehört, ihr heimlich Gift zu verabreichen.
Allerdings entdeckte Anneke ein paar Tage später zufällig Tücher mit riesigen Blutflecken in der Wäsche. Da Gitta eigentlich für das Waschen zuständig war, glaubte sie wohl, niemand würde es sehen.
Anneke versuchte, sich einen Reim darauf zu machen. Die Nächte, in denen Magnus zu Gitta kam, die Bemerkung des Spielmanns wegen eines Kindes, und dennoch war Gitta nicht schwanger? Auf dem Marktplatz ins Stralsund hatte sie die Frauen einmal von einer Engelmacherin flüstern hören. Sie wusste nicht genau, was diese Frauen taten, aber sie wusste, dass es mit Kindern zu tun hatte, die niemand wollte. Natürlich hätte Gitta auch eine Fehlgeburt erleiden können.
Anneke musste sich dazu zwingen, die Angelegenheit nicht näher zu hinterfragen. So sehr nagte die Neugierde an ihr. Doch es ging sie einfach nichts an!
Am Sonnabend war die Schenke voll wie schon lange nicht mehr. Selbst zu zweit hatten Gitta und sie so viel zu tun, dass sie kaum aufblicken konnten.
Glücklicherweise verlegte sich der Spielmann darauf, die Magd zu necken, so musste Anneke sich nicht wieder nach Ingmar ausfragen lassen. Ansonsten waren die Gäste wie immer. Einige freundlich, andere mürrisch. Als sie gerade wieder zwei volle Humpen vom Tresen abgeholt hatte, flog plötzlich die Tür auf.
Anneke nahm zunächst keine Notiz davon, doch nachdem sie die Humpen abgeliefert hatte, bemerkte sie den Luftzug und wandte sich um.
In der Türöffnung stand Ingmar. Bleich und zitternd wie ein Geist. Sein Haar klebte an seinem Kopf und seine Wangen glänzten feucht.
»Was suchst du denn hier?«, wunderte sich Anneke und lief zu ihm. Bisher hatte er sich nur am Nachmittag hier blicken lassen.
Ingmar antwortete zunächst nicht. Tränen glitzerten in seinen Augen und schienen ihn vom Sprechen abzuhalten.
Anneke spürte, wie sich etwas in ihr zusammenkrampfte.
Lieber Gott, nein, dachte sie nur.
»Meine Mutter ist gestorben«, flüstere Ingmar schließlich heiser. »Bei der Geburt des Kindes.«
Das war es, was Anneke befürchtet hatte. Die Nachricht traf sie wie ein Schlag. Nur zweimal hatte sie Susanna Svensson gesehen, aber dennoch hatte sie die Frau sehr gemocht. Obwohl der Tod Frauen häufig im Kindbett holte, hätte sie nicht geglaubt, dass er zu ihr kommen würde. Sie hatte doch so gesund und fröhlich ausgesehen!
Rasch blickte sie sich nach Magnus und Gitta um. Beide waren beschäftigt und sahen gerade nicht zur Tür. Also fasste sie Ingmar bei der Hand und zog ihn nach draußen.
Sie
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