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Sturmtief

Titel: Sturmtief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nygaard
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seinem
Umgang zu forschen, zu eruieren, wie er seine Zeit verbracht hatte, mit wem er
Kontakte pflegte. Dazu gehörte die Analyse seiner Telefongespräche. Dank der
Vorratsdatenspeicherung waren die Telefongesellschaften gezwungen, die
Verbindungsdaten von Havensteins Gesprächspartnern aufzuzeichnen. Die Beamten
würden die Bank aufsuchen, die Geschäfte und Kneipen abklappern, Nachbarn
vernehmen und versuchen, Freunde und Bekannte ausfindig zu machen. Lüder blieb
nur, nach anderen Wegen zu suchen.
    Als er ins Freie trat, sah er erneut über die Ostsee.
Warum blieb sein Blick immer wieder beim Marinehafen haften? Entschlossen
kehrte er noch einmal in die Wohnung zurück.
    »Was vergessen?«, fragte der Spurensicherer.
    Lüder nickte. »Haben Sie ein Fernglas entdeckt?«
    Der Beamte nickte. »Ja.« Dann griente er. »Das lag im
Wohnzimmer auf der Fensterbank. Ob der Tote sich damit auf die Lauer gelegt
hat, um Badenixen am Strand zu beobachten? Oder aufreizende Blondinen, die die
Segelschiffe direkt vor der Haustür entern?«
    Lüder nahm das Fernglas zur Hand. Er war nicht
verwundert, dass auch dieses Gerät von einem Markenhersteller stammte und von
guter Qualität war. Dann hielt er es vor die Augen, korrigierte ein wenig die
Scharfeinstellung und war überrascht, wie gut man von hier oben den Marinehafen
mit den U-Booten und Kriegsschiffen im Blick hatte. Zufrieden verließ er die
Wohnung ein zweites Mal. Er kehrte nicht direkt zu seinem Auto zurück, sondern
schlenderte auf der breiten Promenade am Kai des Stadthafens entlang. Die Sonne
hatte an Kraft und Wärme eingebüßt. Es ließ sich nicht leugnen, dass Oktober
war und die verführerischen Temperaturen des Tages am Spätnachmittag
nachließen. Trotzdem waren noch viele Menschen unterwegs und schlenderten müßig
an der Schiffbrücke, wie dieses Areal hieß, entlang. Lüder nickte einem Paar
zu, das sicher älter als er war, dennoch einen verliebten Eindruck machte.
Während der Mann an einem knallroten Lutscher knabberte, löste sich die Frau
aus seiner Umarmung, holte ein kleines Döschen heraus, öffnete den Deckel und
blies in die Spirale, die sie zuvor in das Gefäß eingetaucht hatte. Belustigt
folgte Lüder den Seifenblasen, die vom schwachen Luftzug über die Promenade
getrieben wurden.
    Auf dem Pflaster, unweit des Wassers, standen Trailer,
auf denen schon ein paar Segelschiffe verstaut waren. Eine Menschentraube
beobachtete, wie ein großer Mobilkran das nächste Schiff aus dem Wasser hob.
Die Boote würden bis zum kommenden Frühjahr ins Winterquartier verbracht
werden.
    Ein Stück weiter dümpelte ein Segelkutter träge im
Wasser. »Freddy« stand am Bug des Dickschiffs. Es musste wunderbar sein, wieder
einmal mit ein paar Freunden ein langes Wochenende vor der Küste zu kreuzen.
Lüder nahm sich fest vor, diese Idee im kommenden Frühjahr umzusetzen. Ein
Schiff wie die »Freddy« war ideal. Hinter dem Steuerstand befand sich ein
ledergepolsterter Freisitz, davor eine kleine Kajüte. Sicher gab es unter Deck
kleine Kajüten mit engen Kojen. Das war die eine Seite des Lebens, überlegte
Lüder in einem Anflug von Sentimentalität. Die andere war die Jagd nach etwas
Unbestimmtem und nach einem brutalen Mörder.
    Die Promenade wurde durch das markante und wuchtige
Rundsilo begrenzt, das heute ein Restaurant beherbergte.
    Auf halber Strecke zwischen der »Freddy« und dem Silo,
bei dem auch die Fußgängerzone begann, schaukelte ein Fischkutter am Kai, den
der Besitzer zu einem Imbiss umgebaut hatte. Eine schmale Gangway führte zum
schwimmenden Verkaufsstand hinüber.
    Lüder kletterte in den Rumpf hinab, grüßte mit »Moin«,
wartete, bis der Fischmeister, wie eine Urkunde stolz verriet, ein älteres Paar
mit Bratfisch und Kartoffelsalat versorgt hatte, und hielt dem Mann auf dessen
Frage »Was darf’s sein?« das Handy hin.
    »Kennen Sie den?«, fragte Lüder.
    Der Imbissverkäufer kniff die Augen zusammen. »Hier
kommen so viele Leute vorbei. Da kann man sich nicht jeden merken.« Die Antwort
war bestimmt, klang aber nicht unhöflich.
    »Würden Sie trotzdem einen Blick darauf werfen?«
    Der Mann nahm das Handy entgegen, das Lüder über den
Tresen reichte, und betrachtete das Bild.
    »Ich bin mir nicht sicher«, sagte er, »aber es könnte
sein, dass der schon öfter hier war. Sieht ‘nen büschen komisch aus auf dem
Ding.« Er gab Lüder das Handy zurück. »Was is denn mit dem?«
    Lüder ließ die Frage unbeantwortet.
    »Wartn Sie mal …

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