Sturmtief
»Des Landes.«
Für einen Moment war Dr. Starke sprachlos. »Und? Um
was ging es?«
Lüder legte seinen Zeigefinger auf die Lippen.
»Topsecret.«
»Sicher«, beeilte sich der Kriminaldirektor zu
versichern und warf einen Blick Richtung Flur, der durch die offene Bürotür zu
sehen war. Dann stand er auf und schloss die Tür.
»Also?«, fragte er, nachdem er sich wieder gesetzt
hatte. »Mir sollten Sie es anvertrauen.«
»Wenn es der Wille des Regierungschefs gewesen wäre,
hätte er Sie mit zum Gespräch gebeten.«
»Ich war verhindert.«
Lüder zeigte ein herablassendes Lächeln. Beiden war
klar, dass er damit zeigte, dass er seinen Chef bei einer Unwahrheit erwischt
hatte.
»Entschuldigen Sie mich bitte, aber die Sache duldet
keinen Aufschub. Ich gehe davon aus, dass dieser Auftrag mit Ihrer Billigung
erfolgt. Oder soll ich mir die Zustimmung des Leiters einholen?« Lüder griff
zum Telefonhörer.
Dr. Starke stand auf. In seinen Augen funkelte es
zornig. »Die Zusammenarbeit zwischen uns ist nicht erfreulich, Herr Lüders. Wir
werden sie auf eine andere Basis stellen müssen.«
»Hmh«, erwiderte Lüder und sah dem Abteilungsleiter
nach, der aufgesprungen war und zur Tür eilte. Sie hatte zu viel Schwung, als
sie hinter Dr. Starke wieder ins Schloss fiel.
Dann rief er der Reihe nach in der Rechtsmedizin, der
Kriminaltechnik und bei Hauptkommissar Vollmers an. Überall erhielt er die
gleiche Antwort: Man hatte noch keine neuen Erkenntnisse gewinnen können.
Lüder nutzte die Zeit, um sich weitere Informationen
zu Robert Havenstein zu beschaffen. Es gelang ihm lediglich, das bereits
vorhandene Wissen zu vertiefen. Neues war nicht mehr dabei.
Womit mochte sich Havenstein beschäftigt haben? Die
Berichte und Reportagen, die die Handschrift des Journalisten trugen, waren so
vielfältig und bunt, dass sich keine eindeutige Linie erkennen ließ. Zunächst
hatte sich Havenstein mit brisanten Themen auseinandergesetzt und aus
Krisengebieten berichtet, dann hatte sich das journalistische Profil gewandelt,
und Havenstein hatte zunehmend über politische Hintergründe geschrieben, was manchem
Betroffenen sicher nicht gefallen hatte.
Lüder hielt inne. Ging es möglicherweise um eine
Auseinandersetzung unter politischen Gegnern? Über die Grenzen des Landes
hinaus war bekannt, wie unversöhnlich sich der Ministerpräsident und der
Oppositionsführer gegenüberstanden.
Lüder schüttelte den Kopf. Nein!, beschloss er. Bei
aller Härte … Andererseits zählte Italien sich zu den angesehenen Mitgliedern
der Europäischen Gemeinschaft. Und dort hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass
ein amtierender Ministerpräsident Morde in Auftrag gegeben hatte. Könnten sich
solche Methoden auch bei uns einschleichen? Lüder dachte an Uwe Barschel,
dessen Tod immer noch mit Rätseln behaftet war, an den »Königsmörder«, der eine
Ministerpräsidentin straucheln ließ, an die Schmiergeldaffäre um die Herren
Engholm und Pfeiffer …
Warum hatte der Ministerpräsident Lüder persönlich
beauftragt, dabei aber Wissen, das zur Aufklärung des Mordes hilfreich gewesen
wäre, zurückgehalten?
Lüder lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück.
Kiel – wer vermutete schon, dass sich hinter den Kulissen dieser beschaulichen
und liebenswerten kleinen Landeshauptstadt so viel »Sodom und Gomorrha«
abspielte.
Als Nächstes würde er nach Eckernförde fahren, um sich
vor Ort über die Lage zu informieren. Doch zunächst rief er zu Hause an.
»Hallo, Lüder«, meldete sich Jonas, sein zwölfjähriger
Sohn.
»Was gibt es Neues?«, fragte Lüder routinemäßig.
»Och, eigentlich nichts.« Jonas sprach langsam und
gedehnt. Das verhieß in der Regel nichts Gutes.
»Schule?«, fragte Lüder.
»Nö.«
»Ich erfahre es doch«, bohrte Lüder nach.
»Ich will auch Rechtsverdreher werden und gehe zur
Polizei. Da ist die Scheißmathe doch egal.«
»Mit anderen Worten: Du hast schon wieder eine
Klassenarbeit verhagelt.«
»Alle anderen auch«, verteidigte sich sein Sohn.
»Das steht aber nicht im Zeugnis. Da sind nur deine schlechten Zensuren aufgeführt.«
»Kannst du nicht einen Einspruch schreiben?«, fragte
Jonas. »Warum hat Opa dir das Studium finanziert?«
Lüder lachte. »Wir reden in Ruhe darüber. Ist Mama
da?«
»Die ist auf Tournee. Keine Ahnung, wohin.«
»Ich komme heute später. Kannst du ihr das
ausrichten?«
»Klaro.« Dann stutzte Jonas einen Moment. »Heißt das,
du bist wieder auf der Jagd? O geil.
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