Sturmtief
mein doch, am Vortag.«
»Keine Zeit«, beschied sie Jonas. »Nun halt endlich
die Klappe.« Dann besann er sich eines Besseren und schob Viveka sein Heft
hinüber. »Oder sag mir, wie man das übersetzt.« Prompt erhielt es zurück.
»Mach deinen Mist allein.«
»Ich will auch zur Schule«, mischte sich Sinje, das
Nesthäkchen, ein.
Jonas lachte und tippte sich an die Stirn. »So
bescheuert können auch nur Mädchen sein, dass sie freiwillig zur Penne wollen.«
»Geht’s ein bisschen friedlicher?«, beschwerte sich
Lüder, als er die Küche betrat.
Thorolf klopfte ihm jovial auf die Schulter. »Na,
schwere Nacht gehabt? Bist du wieder auf einer heißen Spur?« Dabei kiekste
seine Jungmännerstimme irgendwo in der Mitte zwischen Kind und Stimmbruch.
Plötzlich war es still. Alle starrten Lüder an. Auch
Margit hatte ihr Hantieren mit Küchengerätschaften unterbrochen.
»Nein!«, sagte Lüder mit fester Stimme.
»Das wäre aber geil, wenn du mal wieder was Richtiges
machst«, sagte Jonas.
»Machen würdest – heißt das«, korrigierte ihn Viveka
und bekam dafür den Stinkefinger gezeigt.
»Jonas!«, ermahnte ihn Lüder.
Thorolf winkte ab. »Lüder hat gestern angerufen und
gesagt, er muss nach Eckernförde. Da haben sie doch einen Journalisten
plattgemacht. Das dröhnt aus allen Lautsprechern.«
»Wenn ein Mensch stirbt, heißt es nicht ›plattgemacht‹«,
belehrte ihn Lüder. Thorolf hob die Schultern und verließ, eine Brötchenhälfte
zwischen den Zähnen, die Küche.
»Ist es wahr, dass du wieder im Ermittlungsdienst
bist?«, fragte Margit und baute sich vor Lüder auf.
Statt einer Antwort nahm er sie in den Arm und zog sie
an sich. Doch Margit löste sich von ihm.
»Ich bin traurig«, sagte sie mit vorwurfsvoller
Stimme. »Und ich habe Angst. Warum begibst du dich ständig in Gefahr?«
»Du musst keine Sorge haben«, versicherte Lüder. »Ich
bin fernab vom Geschehen, wo es gefährlich ist, tätig.«
Doch Margit schenkte ihm keinen Glauben.
Auf dem Weg zum Landeskriminalamt hatte sich Lüder
mehrere Tageszeitungen besorgt, darunter auch überregionale. Natürlich war der
Mord der Aufmacher auf den Titelblättern. Neben der dünnen Berichterstattung
stand die Person Robert Havensteins im Mittelpunkt. Die Presse berichtete über
seine investigative Arbeit für Fernsehen, Rundfunk und Presse und fragte in
Kommentaren, ob eine neue Welle der Gewalt zu erwarten sei. Lüder war nicht
überrascht, dass ein paar Zeitungen kritisch hinterfragten, ob der Mord in
Verbindung mit dem Atommeiler stehen könnte. Auf dem Boulevardblatt prangte in
riesigen Lettern: »Blutiger Anschlag auf die Pressefreiheit«. Darunter war ein
zum Glück unscharfes Bild, das Robert Havenstein in einer Blutlache auf den
Treppenstufen der Buchhandlung zeigte. Im Innenteil des Blattes befand sich
eine Zeichnung, in der die Phantasien einer auf Sensationen ausgerichteten
Redaktion ausgelebt wurden. Schematisch waren die einzelnen Stationen des
Attentats dargestellt.
Als Nächstes beauftragte Lüder einen Mitarbeiter der
Abteilung, beim Kreditkarteninstitut und beim Autoverleiher Erkundigungen über
die Frau einzuholen. Als Anhaltspunkt gab er die am Vorabend an der Tankstelle
ermittelten Informationen weiter.
Lüder wurde durch das Klingeln seines Handys
unterbrochen. Mit spitzen Fingern legte er die Zeitung zur Seite und nahm das
Gespräch an.
»Dittert, Sie Schmierfink«, begrüßte er den Anrufer.
»Ich lese gerade Ihren blutrünstigen Artikel. Die Wahrheit haben Sie auch nicht
gepachtet.«
»Ach, Lüders, hören Sie doch auf«, erwiderte Leif
Stefan Dittert, von Lüder kurz LSD genannt, der Verfasser des Berichts. »Das entspricht doch den Tatsachen. Wir
machen nichts anderes, als die Leser über das wirkliche Geschehen zu
informieren. Kurz. Knapp. Prägnant. Sagen Sie mir, was nicht stimmt. Und morgen
lesen Sie Ihre Seite der Story.«
»Zum einen bin ich für Sie nicht Lüders, sondern Herr Doktor Lüders, und zweitens haben wir eine ausgezeichnete Presseabteilung.
Haben Sie das immer noch nicht kapiert, Dittert?«
Der Reporter nahm es sportlich, dass Lüder ihm die
Anrede »Herr« versagte. »Stimmt es, dass Havenstein eine heiße Kiste an Land
ziehen wollte?«
»Ja. Aber was ich Ihnen jetzt anvertraue, ist nicht
für die Öffentlichkeit bestimmt. Ist das klar?«
»Ehrenwort«, beeilte sich der Reporter zu versichern
und hatte die Lautstärke seiner Stimme konspirativ gesenkt.
Lüder sprach ebenfalls leiser.
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