Sturmtief
glaubte
sich an Namen wie Erhard Eppler zu erinnern, aber auch an Robert Jungk, der ihm
erst vorhin eingefallen war. Plötzlich keimte in Lüder ein fürchterlicher
Verdacht auf. Doch den wollte er nicht mit Dr. Feldkamp erörtern.
»Sie sprachen von drei Optionen, die ursächlich für
den Leukämiecluster Elbmarsch sein könnten«, erinnerte Lüder sein Gegenüber.
Der Arzt trank die Neige aus seinem Kaffeebecher aus
und sah nachdenklich in das Trinkgefäß, als könne er dort die Lösung finden.
»Niemand sieht es diesem Städtchen an, dass wir ein herausragender
Nuklearstandort sind. Neben Krümmel gibt es auch noch die GKSS .«
Dr. Feldkamp musterte Lüder nachdenklich. Lüder ging
darauf ein.
»Die GKSS ist eine anerkannte und renommierte Forschungseinrichtung und Mitglied der
Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.«
»Das klingt vordergründig seriös«, gab der Arzt zu.
»Ich möchte auch nicht daran zweifeln. Aber stößt es nicht bitter auf, dass das
skandalträchtige Atomlager Asse II vom Helmholtz-Zentrum München betreut wird? Wer hat uns denn belogen? Angeblich
soll im dortigen Salzstock alles sicher sein. Und jetzt?« Dr. Feldkamp legte
eine Pause ein, um die Bedeutung seiner Worte zu unterstreichen.
»Bröckchenweise kommt ans Tageslicht, dass es dort schon zu Leckagen gekommen
ist. Plötzlich ist nichts mehr sicher. Keiner möchte mehr garantieren, dass
nicht doch etwas geschehen kann. Politik und Wirtschaft sind weit genug
entfernt, wenn es die Menschen vor Ort trifft. Und wer garantiert uns, dass man
die Wahrheit sagt? Die volle Wahrheit!«
»Könnte Robert Havenstein etwas herausgefunden haben?«
Der Arzt sah eine Weile versonnen durch die
transparente Plane des Pavillons auf die Straße.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte er dann. »Man versucht
uns überall etwas unterzujubeln.« Dr. Feldkamp zeigte mit ausgestreckter Hand
Richtung Norden. »Denken Sie an diese dumme Idee, CO 2 in Nordfriesland unter die Erde zu pumpen,
anstatt es an der Quelle zu vermeiden.«
»Sie meinen Albert Völlering aus Niebüll.«
Dr. Feldkamp winkte ab. »Die Bürgerinitiative meint es
ehrlich, aber dem Völlering traue ich nicht.«
Ähnliches hatte der Leiter des Atomkraftwerks, von
Sohl, auch gesagt. Und Dr. Feldkamp stand gewiss nicht im Verdacht, die
gleichen Interessen wie von Sohl zu verfolgen. Die Überprüfung Völlerings hatte
aber keine Anzeichen für Unregelmäßigkeiten ergeben.
Als hätte der Arzt Lüders Gedanken erraten, ergänzte
er: »Sie können kaum noch jemandem trauen. Man munkelt, dass Völlering ein
Lobbyist ist und seinen eigenen Reibach machen möchte.«
Nachdem Lüder vorsichtig Zweifel angemeldet hatte,
widersprach ihm Dr. Feldkamp.
»Jeder ist bestechlich. Wer hätte gedacht, dass ein
Weltkonzern wie Siemens, der stets für deutsche Tugenden stand, einmal in einen
weltweiten Korruptionsskandal verwickelt ist.«
Es war nicht auszuschließen, dass hinter den Kulissen
ganz andere Dinge geschahen, überlegte Lüder. Schließlich hatte man versucht,
über den Umweg seiner Familie auch ihn zu bestechen. Und der Anrufer, von dem
Lüder annahm, dass es Havensteins Mörder war, hatte davon gesprochen, dass man
erfolgreich an anderer Stelle die Polizei bestochen habe.
Lüder holte tief Luft, was die Aufmerksamkeit des
Arztes erregte. Siemens und der Korruptionsskandal. Und Siemens war auch ein
weltweit tätiger Kraftwerksbauer, ein Milliardengeschäft. Wenn sich wirklich in
der Vergangenheit ein Zwischenfall ereignet haben sollte, gab es viele
Interessenten, die das nur zu gern verschweigen würden. Es könnte
möglicherweise am Renommee deutscher Ingenieurskunst kratzen. Und da kamen
wieder fundamentale wirtschaftliche Interessen ins Spiel. Die konnten auch den
Ministerpräsidenten eines Bundeslandes, das notorisch am Rande des Ruins
entlangschrammt, nicht unberührt lassen. Schloss sich dort der Kreis, denn
schließlich hatte der Regierungschef Lüder mit den Ermittlungen betraut?
»Glauben Sie, dass es in den achtziger Jahren einen
Zwischenfall gegeben hat, den man verschwieg?«
Dr. Feldkamp sah einem Ehepaar nach, das einen
Zwillingskinderwagen durch die Fußgängerzone schob. Die Frau trug ein nach
muslimischer Sitte gebundenes Kopftuch. Ein drittes Kind klammerte sich an den
Griff des Gefährts. Einen halben Schritt voraus ging der Familienvater, in ein
Gespräch mit dem ältesten Sohn vertieft. Der Arzt nickte in die Richtung der
Familie.
»Kinder sind ein
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