Sturmtief
wunderbares Geschenk«, sagte er.
»Mein Beruf erfüllt mich in einer außerordentlichen Weise. Kinder sind die
Zukunft. Und wir können uns nicht von der Verantwortung freimachen, ihnen eine
saubere Welt zu übergeben. Wer Atommüll einlagert, versündigt sich an dieser
Pflicht.« Dann sah er Lüder lange an. »Ja! Es hat vermutlich einen Zwischenfall
gegeben«, sagte er dann mit Nachdruck. »Das muss 1986 gewesen sein. Man hat
aber alles vertuscht.«
»Was ist im Kraftwerk passiert?«, fragte Lüder.
Der Arzt schüttelte den Kopf. »Nicht im Kraftwerk. Bei
der GKSS .«
* * *
Mirkovic gehörte nirgendwohin. Vor rund zwanzig Jahren
war er als bosnischer Serbe aus Banja Luka nach Deutschland gekommen. Die
Bosnier wollten ihn, den Serben, nicht haben. Die Serben hielten ihn für einen
Bosnier. Und in Deutschland war er auch nur geduldet, obwohl hier seine beiden
Kinder geboren wurden und er Wohnung und Arbeit gefunden hatte. Mirkovic. Alle
Welt nannte ihn so, ohne »Herr« davor. Seinen Vornamen Branko kannte
offensichtlich niemand. Ob es in der Betonplattensiedlung Bergedorf West war,
wo er wie viele andere Menschen mit Migrationshintergrund in einem der
heruntergekommenen Hochhäuser lebte, oder am Arbeitsplatz in Wentorf, der
Gemeinde am Stadtrand von Hamburg. Sein Chef nannte ihn Mirkovic, die Nachbarn,
die Angestellten in den Geschäften, in denen man ihn kannte, selbst in der
Familie hatte es sich eingebürgert.
Mirkovic hatte sich daran gewöhnt. Alternativen boten
sich ihm nicht. Ein Zuhause hatte er nicht. Da war das Leben in der
Großsiedlung zumindest ein Ankerplatz, wenn auch keine wirkliche Heimat.
Seit über zehn Jahren arbeitete er, der gelernte
Klempner, in dem kleinen Handwerksbetrieb mit zehn Beschäftigten. »Gas, Wasser,
Sanitär«, stand neben dem Namen des Betriebsinhabers auf den Fahrzeugen.
»Eh, Witsch«, rief ihm Bernd Voß unter Verwendung der
letzten Silbe seines Nachnamens zu und lehnte sich aus dem Fenster des älteren
Ford Transit. »Sieh zu, dass du in die Gänge kommst.« Dann wandte sich Voß
wieder dem Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes zu, der gelangweilt am Fahrzeug
stand. »Diesen Typen musst du immer klarmachen, dass sie nicht zum Rumgucken
hier sind«, erklärte er.
Ugur Gülcan nickte nur. Ihm war nicht anzusehen, was
er von der Anmerkung des unrasierten und schmuddeligen Voß hielt. Seine Aufgabe
war es, die Handwerker auf dem Gelände des Kraftwerks zu begleiten.
Das Areal war durch einen Dreifachzaun gut
abgeschirmt. Eine lückenlose Kameraüberwachung bot der Sicherheitszentrale
neben dem stromführenden Mittelzaun und dem mit Kontakt- und Signaldrähten
ausgestatteten dritten Zaun Gewähr, dass kein Unbefugter Zugang zum Kraftwerk
fand.
Besucher und Mitarbeiter mussten ein ausgeklügeltes
Sicherheitssystem passieren, und Lieferanten oder Handwerker, die mit ihren
Fahrzeugen auf das Gelände kamen, wurden durch eine Sicherheitsschleuse
geleitet. Zunächst öffnete der Pförtner das Schiebetor. Dann wurden das
Fahrzeug und die Insassen kontrolliert, bevor sich das zweite Tor öffnete und
die Zufahrt freigab.
Die beiden Handwerker waren öfter hier. Deshalb
mochten die Kontrollen ein wenig laxer gewesen sein, als es sonst üblich war.
Mirkovic beugte sich über den Rand der Ladefläche,
griff sich den Werkzeugkoffer und trottete langsam zum Hilfskesselhaus. Dort
hatten die beiden in den letzten drei Tagen eine Pumpe ausgetauscht und eine
Leitung neu verlegt. Mirkovic erschloss sich nicht, woher die Leitungen kamen
und wohin sie führten. Dieses Gebäude gehörte jedenfalls nicht zum Sicherheitsbereich,
von dem Mirkovic nur gehört, den er aber noch nie betreten hatte.
»Mach zu, Witsch«, rief ihm Voß nach. »Mir juckt’s
beim besten Freund, und ich will weg.« Dabei rieb er sich mit der Hand zwischen
den Beinen. Angewidert schaute Ugur Gülcan vom Sicherheitsdienst zur Seite.
»Ich hab ‘nen geiles Ding kennengelernt«, sagte Voß und bog die Finger der
linken Hand so rund, dass es wie ein Tunnel aussah. Dann fuhr er mit dem
Zeigefinger der rechten Hand darin hin und her. Gülcan beachtete auch diese
obszöne Geste nicht und wich ein Stück zurück, als ihm Voß durch das geöffnete
Seitenfenster auf die Schulter klopfen wollte.
Mirkovic hatte sich dem Zugang zum Hilfskesselhaus
genähert, öffnete die Blechtür und ließ seine linke Hand in die Tasche seiner
Arbeitshose gleiten. Seine Finger spielten mit den sechs Fünfzigeuroscheinen,
die dort
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