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Sturmtief

Titel: Sturmtief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nygaard
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zusammengerollt steckten. Dann wandte er sich nach links, sah über die
Schulter, ob ihn jemand beobachtete, und griff in den Werkzeugkoffer. Zögernd
holte er das Paket heraus, das wie ein länglicher Stab aussah. Mirkovic
betrachtete den Gegenstand. Unschlüssig hielt er ihn in der Hand, steckte ihn
zwischen die frisch ausgetauschte Pumpe und die Wand, zog ihn wieder heraus und
wollte ihn zurück in den Werkzeugkasten legen. Automatisch tauchte seine Hand
erneut in die Hosentasche ein. Dreihundert Euro! Zweihundertfünfzig fehlten
seinem Sohn für die Klassenreise. Mirkovic hatte das Geld zusammengespart und
Petr mit zur Schule gegeben. Es hatte zu Hause großen Ärger gegeben, als der
Sechzehnjährige mit einem neuen Handy auftauchte, das er von dem Geld erworben
hatte, anstatt es beim Lehrer abzuliefern. Er habe »null Bock«, hatte der Junge
erklärt, und alle Vorhaltungen seines Vaters waren an ihm abgeprallt. Das
Erlebnis einer Klassenreise zählte nicht als Statussymbol in Bergedorf West,
aber das neue Handy.
    Mirkovic nickte versonnen. Mit dem Geld in seiner
Tasche könnte er seinem Sohn doch die Teilnahme ermöglichen. Und es wäre sogar
noch ein klein wenig Taschengeld übrig.
    Er hörte, wie hinter ihm die Blechtür geöffnet wurde.
»Mensch, Jugo, wo bleibst du? Komm in Schweiß«, hörte er Voß fluchen. »Mir
juckt es zwischen den Beinen. Ich will doch die Schnecke nicht warten lassen,
nur weil du so lahmarschig bist.« Dann knallte die Tür wieder ins Schloss.
    Mirkovic nickte grimmig. Er stieß einen Fluch in
seiner Muttersprache aus. Dann klemmte er den länglichen Stab zwischen Pumpe
und Wand, drückte auf den Knopf, wie man es ihm gezeigt hatte, und verließ das
Hilfskesselhaus.
    * * *
    Das Gelände der GKSS lag – von Hamburg aus gesehen – hinter Geesthacht. Auf der bekannten Kuppe des
Geesthangs wurde Lüder jedoch umgeleitet, da die Straße wegen Bauarbeiten
gesperrt war. Die Umleitung führt ihn zur Elbe hinab, am Pumpspeicherwerk und
am Atommeiler vorbei und durch das beschaulich am Fluss liegende Tesperhude.
Lüder war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob er mit seiner Familie hier, in
unmittelbarer Nachbarschaft des Kraftwerks, unbefangen leben könnte.
    Am Ende des Ortes bog er nach links ab, umfuhr die
Absperrung und nahm den Weg über die Bundesstraße. Ein paar Kilometer weiter
wies ein großes Schild auf die GKSS hin. Die Zufahrtsstraße – Lüder war nicht überrascht, dass sie nach Max Planck
benannt war – führte durch einen Wald zum Forschungsgelände. Auffällig war,
dass sich links und rechts der Straße Zäune entlangzogen. Auf diesem
idyllischen Plätzchen, inmitten der ausgedehnten Waldungen, waren noch heute
die Reste der Bunkeranlagen der Sprengstofffabrik zu finden. Die
Otto-Hahn-Straße erwies sich als ebenfalls eingezäunter Waldweg. Auch dieser
Name war nicht zufällig gewählt. Der Chemiker und Nobelpreisträger war der
Entdecker der Kernspaltung des Urans. Nach ihm war der einstige mit Atomkraft
angetriebene Frachter »Otto Hahn« benannt, der von der GKSS entwickelt worden war. So schloss sich der Kreis.
    Nach einer längeren Fahrt öffnete sich der Wald zu
einer Lichtung, auf der eine Bushaltestelle, ein modern anmutender Flachbau und
das Pförtnerhäuschen davon kündeten, dass Lüder sein Ziel erreicht hatte.
»Einsteinchen«, las er auf dem Schild den Namen der Kindertagesstätte, in der
der Nachwuchs der GKSS -Mitarbeiter
betreut wurde.
    Zu- und Ausfahrt waren durch eine Insel getrennt, an
deren Spitze ein mächtiger Baum stand. Der Haupteingang war mit einem frei
tragenden Dach überbaut, das durch eine interessante halbkreisförmige
Trägerkonstruktion aus Stahlrohren gehalten wurde. Lüder erkannte die
Örtlichkeiten wieder. Von der Stelle, wo er angehalten hatte, musste Hannah
Eisenberg das Foto aufgenommen haben, das ihn hierhergeführt hatte.
    »Moment«, sagte der Pförtner durch die
Wechselsprechanlage, als Lüder seinen Namen genannt hatte, und kontrollierte
den Eintrag auf einem Zettel. Dann bat er um den Personalausweis und erklärte
Lüder den Weg zum Sitz der Geschäftsführung und Verwaltung. Lüder war
überrascht von der Größe der Anlage. Er fuhr weiter durch den Wald, folgte der
Straße, die einen Linksschwenk machte, bis er das unscheinbare Gebäude
erreichte, das lediglich aus dem Erd- und einem weiteren Geschoss bestand.
    Auch hier funktionierte die interne Organisation
ähnlich gut wie im Atomkraftwerk. Vor der Tür erwartete ihn

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