Sturmtosen - Peeler, N: Sturmtosen - Tempest's Legacy (Jane True) Book 3
… vermutlich aus demselben Grund, warum Hitler eine Rasse verehrte, die das genaue Gegenteil von ihm war. Das nenne ich mal Selbsthass. Wie auch immer, was jetzt den ›Doktor‹ da hinten betrifft …«, Cap machte eine vage Geste zum Van, der schwankte, weil Daoud und Caleb gerade hineinkletterten. Julian hielt sich weise abseits und putzte seine Brille mit einem Zipfel seines Hemds. »Anscheinend hat der Heiler jedem, der für ihn arbeitet, einen Platz in der neuen Welt, die sie ›aufbauen‹, versprochen, und dass die kollaborierenden Halblinge, wenn sie erst einmal die Nachwuchskrise in den Griff bekommen hätten, die Gelegenheit bekämen, mit ihnen Kinder zu zeugen, die dann beinahe reinblütig wären … und die Kinder ihrer Kinder könnten sich wieder mit Reinblütern mischen und so weiter. Ihnen wurde erzählt, sie würden an der Entstehung einer neuen Rasse mitwirken. Natürlich funktioniert die Genetik so nicht, aber wer braucht schon Verstand und Logik, wenn man die Gelegenheit bekommt, andere zu foltern und zu quälen?«
Ich nickte. »Ich bin sicher, einige dieser Halblinge sind wie Conleth verkorkst genug, um solche aberwitzigen Ideologien zu glauben. Aber andere finden bestimmt einfach bloß Gefallen daran, anderen Schmerzen zuzufügen.«
Capitola nickte zustimmend. »Genau. Der, den wir erwischt haben, teilt wohl tatsächlich das absurde Weltbild des Heilers. Aber angesichts dessen, was sie ihren Gefangenen angetan haben, denke ich, ging es genauso gut darum, Leuten Leid zuzufügen, wie um alles andere.«
Unsere philosophische Diskussion wurde jedoch abrupt unterbrochen, als Daoud und Caleb aus dem Van gestrauchelt kamen und mit einem Wums auf dem Hintern landeten. Muh schüttelte den Kopf, trat vor und hob in aller Ruhe den Arm. Alfar-Kraft schoss heraus, diese unverwechselbare Mischung aus allen vier Elementen, die durch die Luft zum Van hin rauschte.
Ich ging näher an den Van heran, wohl wissend, dass unser Feind – oder zumindest einer von ihnen – sich endlich zeigen würde.
Doch mir blieb staunend der Mund offen stehen, als ich sah, was da, umgeben vom glitzernden Nimbus von Muhs Kräften, aus dem Van geschwebt kam, es handelte sich um …
… eine Frau.
Sie war von mittlerer Größe und Gewicht und trug einen Arztkittel. Ihr Haar war sandbraun, ebenso wie ihre Augen. Sie sah total durchschnittlich aus.
Und doch war sie bereit gewesen, ihre eigenen Leute zu verraten und danebenzustehen, als andere Frauen vergewaltigt und missbraucht wurden, und das alles nur, weil sie sich vom Versprechen des Heilers ködern ließ, (vielleicht eines Tages) »reinblütigere« Kinder zu haben?
Mir stand der Mund offen, aber weder Anyan noch Ryu schienen sich daran zu stören, dass »der Doktor« eine Frau war. Andererseits war das nur verständlich. Ich war als Mensch aufgewachsen, in einer Welt, in der ein bisschen mehr Körperkraft, ein paar Zentimeter Körpergröße und ein paar Pfund mehr bedeuteten, dass Männer den Frauen in den meisten Fällen körperlich überlegen waren. Das machte uns in manchen Situationen verletzlich, ganz gleich wie ungern wir das zugaben.
Aber wen interessierte es in der übernatürlichen Welt schon, ob man beim Bankdrücken ein paar hundert Pfund stemmen konnte, wenn man mit etwas Magie auch locker tausend heben konnte? Winzige Frauen wie Phädra konnten die meisten muskelbepackten menschlichen Männer, im wahrsten Sinne des Wortes ohne mit der Wimper zu zucken, in Stücke reißen. Also war Macht und Herrschaft für die Übernatürlichen nicht an das Geschlecht gekoppelt, wie das bei den Menschen oft der Fall war.
Muh setzte die sich windende Gefangene zu ihren Füßen ab, und dann übte die Alfar-Halblingsfrau zu meiner Überraschung genug Druck auf sie aus, dass sie die Ärztin vor sich in die Knie zwang. Mein Blick huschte zu Muhs Gesicht, und ich sah, dass hinter ihrer ruhigen Alfar-Fassade bedrohliche Wut lauerte. Als spürten sie die gereizte Stimmung ihrer Freundin, traten Cap und Shar hinzu und legten ihr beruhigend die Hände auf die Schultern. Die majestätische Frau blinzelte einmal, und ihre Kraft verdichtete sich, dann blinzelte sie ein zweites Mal, und sie zerstreute sich wieder. Dann überließ sie die »Ärztin« zu ihren Füßen der Verantwortung von Daoud, Ryu und Caleb.
Cap strich Muh mit der Hand über die Schulter, und Shar legte ihr den Arm um die Taille. Sie reagierte mit einem weiteren Blinzeln, und eine Sekunde fragte ich mich, ob sie
Weitere Kostenlose Bücher