Sturmwelten 01
Besonderes mit dir vorhat, Freund Jaquento. Du kannst lesen und schreiben?«
»Natürlich.«
»Gut. Was dir fehlt, ist Erfahrung. Und die hast du, mit Verlaub, in Rahels Gesellschaft zu wenig sammeln können. Zumindest die Erfahrung, um die es mir geht.«
»Das ist vorbei«, erklärte Jaquento finster. »Und es ist nur eine Sache zwischen uns.«
»Nimm es nicht allzu tragisch. Rahel ist eine Tochter der See; anziehend, aber ebenso launisch. Was denkst du, wie ich an Bord der Todsünde gekommen bin?«
Mit geweiteten Augen fragte Jaquento: »Du hast auch mit Rahel …?«
»Nein«, wehrte Pertiz lachend ab, nur um zwinkernd hinzuzufügen: »Oder vielleicht doch? Das ist unwichtig, Jaq. Es war von vorneherein nicht für die Ewigkeit gedacht. Rahels Liebe gilt hauptsächlich der See.«
»Und dem Käpt’n«, setzte Jaquento düster hinzu.
»Deguay? Sie verehrt ihn, wie so viele an Bord der Sünde , aber ihr Herz gehört dem Meer. Nun lass uns nicht von der Vergangenheit sprechen, sondern von der Zukunft. Dir mangelt es an nautischen Kenntnissen, und ich will dir diese vermitteln.«
»Wieso denkt ihr Piraten nur«, meinte Jaquento, »dass ihr die Einzigen seid, die sich auf dem Meer auskennen?«
»Weil wir die Herren der Ozeane sind?«
»Meine Heimat lag am Meer, Pertiz, meine Leute sind zur See gefahren. Ich habe das Rauschen des Meeres jede Nacht gehört. Und ich habe auf meiner Überfahrt in die Sturmwelt gearbeitet.«
»Das ist gut«, erwiderte Pertiz. »Sehr gut sogar. Aber es gehört mehr dazu, ein Schiff zu kommandieren, als das Rauschen des Meeres zu kennen. Es reicht auch nicht, die See zu lieben, denn sie ist eine launische Herrin. Ich kann dir beibringen, was einen Mann dazu befähigt, ein Schiff sicher durch einen Sturm zu steuern.«
»Ein Schiff kommandieren? Aber ist das nicht Eure Aufgabe? Ihr seid der Kapitän, nicht ich.«
»Aber jeder Kapitän braucht Offiziere, auf die er sich verlassen kann. Und lass das vermaledeite Ihr und Euch . Wir sind Brüder und Schwestern auf diesem Schiff.«
»Wie du wünschst, Käpt’n«, erwiderte der junge Hiscadi, wobei er das letzte Wort besonders betonte. »Aber Offizier? Was sagt die Mannschaft dazu?«
»Noch ist es dafür zu früh. Erst musst du dich beweisen. Deinen Mut und dein Geschick mit der Klinge kennen sie, jetzt musst du lernen, ein Schiff zu führen. Deshalb musst du mein Aufwärter sein, zumindest so lange, bis sie dich vollständig akzeptieren.«
»Ist es wegen Quibon?«, sprach Jaquento seinen Verdacht aus. »Fürchtest du, dass er irgendwen angeheuert hat, um mich zu töten?«
»Vielleicht hat er das«, entgegnete Pertiz hart. »Aber darum mache ich mir wenig Sorgen. Ich habe dich kämpfen sehen. Mein Mitgefühl gilt eher jenen, die dich herausfordern. Du fürchtest den Tod nicht, warum auch immer. Und dein Degen ist verflucht schnell.«
Der junge Hiscadi zuckte mit den Schultern. »Jeder fürchtet den Tod. Man muss mit dieser Furcht nur umzugehen wissen.«
»Nein«, widersprach Pertiz beschwörend. »Nicht jeder. Ich habe Männer und Frauen ohne Furcht gesehen. Ich habe sogar gesehen, wie sie den Tod mit offenen Armen empfangen haben. Du weißt, wovon ich spreche, Jaquento. Leugne es nicht.«
Scheinbar unbeteiligt blickte Jaquento den Kapitän an, sorgsam darauf bedacht, durch nichts zu erkennen zu geben, ob er ihm zustimmte oder nicht.
»Weißt du, woher mein Name kommt?«, änderte Pertiz plötzlich das Thema und riss Jaquento aus seinem Schweigen.
»Géronay?«
»Korrekt. Es ist nur ein nom de guerre . Mein wahrer Name ist begraben und vergessen. Ich habe den Namen eines Vorfahren angenommen – Pertiz Sucrof.«
»Sucrof? So wie der Mann aus Maillot?«
»Genau der. Kennst du seine Geschichte?«
»Er war ein Korsar aus Maillot, vor achtzig und vier Jahren. Er war ungeheuer erfolgreich und soll Schätze ohnegleichen angehäuft haben.«
»Das stimmt. Die Archive der Stadt verzeichnen über hundert Prisen, große und kleine, die er in Maillot verkaufte. Wer weiß, wie viele er versenkte oder nur ausraubte und wieder fahren ließ. Er wurde reich, und die Stadt verdiente gut an ihren zwölf Prozent. Sie stellten ihm sogar eine Statue auf und benannten eines der Hafenbecken nach ihm. Er starb allerdings in Armut.«
»Wie das?«
»Er war großzügig, dem Spiel, dem Alkohol und, wie man sagt, mehr als einer Frau zugetan. Eine unheilige Kombination, möchte man meinen. Er hat sein ganzes Vermögen noch zu Lebzeiten durchgebracht.
Weitere Kostenlose Bücher