Sturmwelten 01
Ich allerdings muss mich, da es mir durch meine Gabe so beschieden wurde, mit Geschichte und Gegenwart der Magie befassen.«
»Da sie ja auch von der Einheit kommt.«
»Genau«, entgegnete der Caserdote, doch sein Gesichtsausdruck war so säuerlich, als spräche er von eitrigen Wunden. »Allerdings muss sie, wie alle Gaben der Einheit, mit Verstand angewendet werden.«
»Sicherlich, Thay.«
»Aber ich langweile Sie gewiss bereits mit meinem theologischen Geschwätz, Leutnant«, meinte Sellisher. Roxane hob protestierend die Hände, doch Sellisher ignorierte die Geste: »Ich werde mich um den guten Maestre kümmern. Ein guter Schäfer kümmert sich auch um die schwarzen Schafe.«
Trotz seines Zwinkerns missfiel Roxane sein herablassender Tonfall, deswegen salutierte sie steif und erwiderte: »Gerade um die schwarzen, Caserdote, nicht wahr?«
Für einen Moment blickte er sie mit seinen blinden Augen unschlüssig an, dann nickte er bedächtig. »Ein wahres Wort.«
Die junge Offizierin sah ihm nach, während er unter Deck ging. Seine joviale Art wirkte auf den ersten Blick freundlich, doch etwas an ihm störte sie, ohne dass sie dies genau fassen oder gar mit Worten benennen konnte. Vielleicht lag es an seiner überheblichen Haltung Groferton gegenüber, den sie zwar kaum kannte und der dank seiner Wehleidigkeit nur wenig Sympathien an Bord sammelte, aber dessen wachen Geist, scharfe Zunge und treffsichere Beobachtungsgabe sie zu schätzen gelernt hatte.
Mit einem Seufzen, das sie hinter vorgehaltener Hand verbarg, wandte sie sich ab und kontrollierte noch einmal Besegelung und Kurs der Mantikor . Es war nicht ratsam, es sich mit dem Schiffskaplan zu verscherzen, wenn man bedachte, dass er das Ohr des Kapitäns wie kein Zweiter besaß. Inzwischen hielt der Caserdote täglich eine Andacht in der Kajüte des Kapitäns, und wenn man in der Nähe war, konnte man die beiden zusammen beten hören.
Immerhin hatte sich die Stimmung Harfells seitdem etwas aufgehellt, und bislang hatte es keine weiteren Zwischenfälle gegeben. Möge es so bleiben, dachte Roxane und klopfte unbewusst mit den Knöcheln gegen die Reling. Möglicherweise hat die Einheit ja ein Einsehen mit uns und schenkt Harfell Zurückhaltung und Verstand! Doch ihre Hoffnung auf ein göttliches Eingreifen blieb gering, denn sie konnte die misstrauischen Blicke des Kapitäns sehen, seine ständig zu einem verächtlichen Lächeln verzogenen Lippen. Er wirkte eher wie ein Gefangener auf seinem eigenen Schiff als wie ein Offizier, geschweige denn wie der Schiffsführer. Vielleicht spürte die Mannschaft diesen Mangel ebenfalls, oder vielleicht war Roxane auch zu sensibel geworden, doch es war ihr, als ob ein beständiges Gefühl der Unruhe um sie herum herrschte.
Die See dagegen war ruhig, obwohl ein frischer Wind ging, der ihnen gute Fahrt bescherte. Seit dem Sturm hatte der Ozean sich von seiner besten Seite gezeigt, als hätte er all seinen Zorn in diesem Orkan entladen.
»Hol mir Leutnant Frewelling, Pead«, befahl Roxane aus einem Impuls heraus dem Jungen, der an der Schiffsuhr stand. Mit einem hektischen Salut flitzte er los. Dem Jüngsten an Bord steckte Tolas grausame Bestrafung noch in den Knochen, und vermutlich fürchtete jeder von ihnen, der Nächste zu sein, den Harfells Zorn traf.
Kurz darauf kam der Erste Offizier an Deck. Er hatte seine Locken nur mühsam unter seinen Zweispitz gezwängt, und er war gerade noch dabei, die letzten Knöpfe seiner Uniform zu schließen.
»Was gibt es, Thay?«
»Sie hätten sich nicht so sputen müssen, Thay«, erwiderte Roxane lächelnd. »Ich habe nur eine Frage.«
»Der Junge schien ziemlich aufgeregt, und er war ganz atemlos, als wäre er gerannt.«
»Es ist meine Schuld. Ich hätte ihm sagen sollen, dass es keine dringende Angelegenheit ist. Sie verwalten doch die Listen der Messen, nicht wahr?«
»Sicherlich«, antwortete Frewelling und sah sie fragend an. »Das ist eine meiner Aufgaben.«
»Der Kapitän erlaubt doch Wechsel?«
Als Frewelling nickte, fragte sie weiter. »Gibt es viele?«
»Wechsel? Oder Messen?«
»Beides.«
»Wir haben vierzig Messen für die Besatzung, dazu drei Strafmessen, jeweils eine für Trunkenheit, Unsauberkeit und kleinen Diebstahl, aber der Kapitän hat schon lange niemand mehr dazu verdammt. Tatsächlich gibt es einige Wechsel in jeder Woche. Mehr, als ich bislang gewohnt war.«
»Die Mannschaft ist unruhig, Thay«, erklärte Roxane leise. »Deshalb finden sich keine
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